Apperzeption
Zur Definition
Als Apperzeption (lateinisch ad: zu und perceptio: Wahrnehmung) bezeichnet man das bewusste, willensgesteuerte Erfassen und Verarbeiten von Sinneseindrückenn. Im Gegensatz dazu beschränkt sich die Perzeption lediglich auf die Wahrnehmung als physiologischen Vorgang ohne gedankliche Verarbeitung und die Rezeption auf passive Aufnahme von Sinneseindrücken.
Die Apperzeption hat die Perzeption, in der der Unterschied von Bewusstem und Unbewusstem noch nicht gesetzt ist, zur Voraussetzung. Es werden immer ungleich weniger Wahrnehmungen apperzipiert, das heißt über die Schwelle des Bewusstseins(die so genannte Apperzeptionsschwelle ) gehoben, als perzipiert.
In der Apperzeption kommt auch die Abhängigkeit der aktuellen Wahrnehmung von früheren Wahrnehmungen und Erfahrungen, vom gesamten Wissensstand des Subjekts, seinen theoretischen Kenntnissen, seiner weltanschaulichen Haltung, seinem psychischen Zustand und anderes zum Ausdruck. Die Apperzeption bewirkt, dass zwei Menschen ein und dasselbe Objekt, ein und denselben Prozess u. a. verschieden wahrnehmen können.
Die Apperzeption ist eine von Leibniz eingeführte Bezeichnung für das aktive Selbstbewusstsein der Monade, das den Übergang aus einem niedrigeren seelischen Zustand, der Perzeption, das heißt der passiven Wahrnehmung, in das aktive Bewusstsein gewährleistet.
Leibniz unterscheidet die Apperzeption von der Perzeption, indem er behauptet, dass nicht die Gesamtheit der Wahrnehmungen ( perceptions ), sondern nur derjenige Teil auf die Stufe des Bewusstseins gehoben wird, auf den sich die Aufmerksamkeit richtet. Diese wird erzwungen, wenn sich unterschwellige Perzeptionen( petites perceptions ) soweit summieren, dass sie die Bewusstseinsschwelle überschreiten. Der gleiche Effekt tritt aber auch ein, wenn eine einzelne Wahrnehmung von unserem bewussten und gewohnten Vorstellungsinhalt soweit abweicht, dass die Differenz von Gewohntem und Ungewohntem Aufmerksamkeit und damit Apperzeption bewirkt.
Apperzeption ist für Leibniz also Aneignung der Perzeption durch das Bewusstsein. Mit dem Begriff Apperzeption, die als Resultante von unbewussten, passiv aufgenommenen Wahrnehmungen und der aktiven Tätigkeit des Subjekts verstanden wird (da keine Apperzeption ohne Aufmerksamkeit erfolgt), betont Leibniz das aktive Moment der psychischen Tätigkeit.
Gemäß dem Grundsatz, dass die Natur keine Sprünge mache ("natura non facit saltus"), überbrückt er die Kluft zwischen der objektiven Realität und dem Bewussten durch etwas, was weder Bewusstsein im eigentlichen Sinne ist, noch der Welt der Materie angehört: durch die unbewussten Wahrnehmungen.
Eine zentrale Stellung nimmt der Begriff "Apperzeption" in der Philosophie Kants ein. Apperzeption wird zwar wie bei Leibniz mit Bewusstsein und Selbstbewusstsein verbunden, aber der Akzent liegt nicht auf der Unterscheidung des Bewussten von Unbewusstem, sondern des transzendentalen vom empirischen Teil des Bewusstseins.
Die transzendentale Apperzeption (auch ursprüngliche oder reine genannt) ist die a priori gegebene Identität und Einheit des Selbstbewusstseins, die sich den wechselnden Bewusstseinsinhalten gegenüber als Konstantes, Durchgängiges, Sich-selbst-Gleichbleibendes erhält. Wäre die Einheit des Bewusstseins nicht a priori, vor aller Erfahrung gegeben, käme sie erst als Produkt der Erfahrung und Erkenntnis zustande, so gäbe es nicht jene Konstanz des "Ich denke", sondern so viele wechselnde und verschiedene Selbst, als es unterschiedliche und wechselnde Erfahrungen und Erkenntnisse gibt.
Die reine Apperzeption ist das spontane, ursprüngliche Selbstbewusstsein des ?ich denke?. Das Ich ist in diesem Sinne die bloße logische Einheit des Subjekts. Kant: ?Das Ich denke muss alle meine Vorstellungen begleiten können: denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte.? (aus: Kritik der reinen Vernunft, siehe auch: Einbildungskraft; Selbstbewusstsein)
Die mit allen Subjekten gegebene transzendentale Apperzeption bewirkt, dass aus der Mannigfaltigkeit der Vorstellungen eine Einheit wird: sie ist die Ursache, dass dem Erkenntnisvermögen Objekte gegeben sind, sie schafft aus einem Chaos Objekte und wird daher von Kant als intersubjektiv, notwendig und objektiv bestimmt:
"Verbindung liegt aber nicht in den Gegenständen, und kann von ihnen nicht etwa durch Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufgenommen werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter ist, als das Vermögen, a priori zu bringen, welcher Grundsatz der oberste im ganzen menschlichen Erkenntnis ist" (in:B 134,135).
Die transzendentale Apperzeption ist der letzte Grund, in dem die Kategorien des reinen Verstandes und die Form der Urteile ihre Wurzel und Einheit finden. Die Aussage beispielsweise, die aus Subjektsbegriff, Prädikatsbegriff und Kopula besteht, ist in ihrer logischen Form und Funktion nichts anderes als Tätigkeit des Subjekts, die darauf abzielt, vermöge der tanszendentalen Apperzeption eine Einheit der Erkenntnis zustande zu bringen.
Da wir Individuen und somit durch Zufälle determiniert sind, tritt bei
Immanuel Kant neben die intersubjektive tranzendentale Apperzeption die empirische oder psychologische Apperzeption, die nur subjektive Gültigkeit hat und die Tatsache erfassen soll, dass wir mit den allgemeingültigen Begriffen unterschiedliche sinnliche Vorstellungen verbinden.
Enthält der Kantsche Begriff der transzendentalen Apperzeption auch die richtige Einsicht, dass die Erkenntnis nicht unabhängig von relativ apriorischen subjektiven Gegebenheiten erfolgen kann (Gehirnstrukturen, historisch gewordene, relativ konstante Weltbilder und Denkschemata u. a.) und dass das Denken nicht nur analytische, sondern auch synthetische Funktion besitzt, so führt die Verabsolutierung der ordnenden, Ganzheiten herstellenden Tätigkeit des denkenden Subjekts zur Eliminierung der Ordnung und des Systemcharakters der Realität, ja letztlich zur Negierung der objektiven Realität, was in der Kantschen Gleichsetzung von Intersubjektivität und Objektivität zum Ausdruck kommt.
Während bei G.W. Leibniz die Apperzeption nur den passiven Zustand der Wahrnehmung in das aktive Selbstbewusstsein überführt, schreibt bei Kant die transzendentale Apperzeption der Natur die Gesetze vor, wobei er unter Natur die Gesamtheit der Erscheinungenen verstand.
Als transzendentale Apperzeption bezeichnet Kant die logische Einheit, durch die die ganze in der anschaulichen Vorstellung gegebene Vielfalt zum Begriff des Objektes vereinigt wird.
Die subjketiv-idealistische Interpretation der Apperzeption und ihrer Funktion im Erkenntnisprozess wurde bereits von Hegel der Kritik unterzogen. Die Verabsolutierung der Verstandestätigkeit durch den subjektiven Idealismus berücksichtige nicht die Wechselwirkung zwischen Objekt und Subjekt im Erkenntnisprozess, sondern betone einseitig die Einheit der Apperzeption, der gegenüber das objektive "Ding an sich" ein fremder Anstoß bleibe(Hegel 2, 182 bis 190).
Indem der transzendentale Idealismus "alle Bestimmtheit der Dinge sowohl der Form als dem Inhalte nach in das Bewußtsein verlegt, so fällt es nach diesem Standpunkt in mich, in das Subjekt, daß ich die Baumblätter nicht als schwarz, sondern als grün, die Sonne rund und nicht viereckig sehe, den Zucker süß und nicht bitter schmecke; daß ich den ersten und zweiten Schlag einer Uhr als sukzidierend, und nicht nebeneinander, noch den ersten als Ursache, auch nicht als Wirkung des zweiten bestimme usf."(Hegel, 4, 609).
Johann Friedrich Herbart knüpft bei dem Versuch, eine wissenschaftliche Psychologie zu schaffen, positiv an die Erkenntnisse Leibniz' und polemisch an Kant und Johann Gottlieb Fichte an. Das Ich ist für Herbart die Gesamtheit des Bewussten, das Apperzipierende im Gegensatz zum Apperzipierten. Jedoch ist Apperzeption weder eine a priori gegebene subjektive und transzendente Einheit noch das formale Fichtesche Ich, sondern nichts anderes als die Summe der bewussten empirisch gegebenen Vorstellungen.
Das Ich wird durch Apperzeptionsmassen gebildet (durch frühere Vorstellungen). Neu auftretende Vorstellungen werden verarbeitet und assimiliert, wobei durch den Apperzeptionsprozess ältere, unter die Bewusstseinsschwelle gerückte Vorstellungen realtiviert werden.
Auf diese Weise bereichert sich das Ich kontinuierlich, so dass es für Herbart im Gegensatz zu Kant (und formal in Überseinstimmung mit Fichte) eine Weiterentwicklung der Apperzeption und damit des Ich gibt.
Als primär psychologischer Begriff wird "Apperzeption" bei Wilhelm Wundt, Oswald Külpe u. a. verwendet. Wundt knüpft wie Leibniz Apperzeption an die Aufmerksamkeit und bekämpft die Assoziationspsychologie mit dem Argument, dass es neben passiven psychischen Verbindungen eine Aktivität des Bewusstseins, eine schöpferische Synthese, nämlich die Apperzeption gibt, die in der Rinde des Stirnhirns ein eigenes Zentrum besitze.
Richard Avenarius verbindet Apperzeption mit dem Prinzip der Denkökonomie, indem er annimmt, dass die zum Zwecke einer Apperzeption auszuführenden Reproduktionen von Vorstellungen auf das relativ geringste Maß beschränkt seien. Zum Prozesss der Apperzeption
Apperzeption in der Philosophie
Zur Apperzeption bei Leibniz
Das Moment des Psychischen bei Leibniz
Zur Apperzeption bei Immanuel Kant
Zur Apperzeption als zentrale Stellung in der Philosphie Kants
Zur transzendentalen Apperzeption
Zur Unterscheidung der transzendentalen und empirischen Apperzeption
Zur Kritik von Hegel an der Interpretation der Apperzeption
Zur Auffassung von Johann Friedrich Herbart zur Apperzeption
Zur Auffassung der Apperzeption bei Wundt, Külpe u. a.
Zur Auffassung der Apperzeption bei Avenarius