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wissenschaftlicher sozialismus

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Wissenschaftlicher Sozialismus

Wissenschaftlicher Sozialismus, begründet durch Karl Marx und Friedrich Engels, ist

1. eine Strömung in der Sozialistischen Bewegung seit dem 19. JH, die sich auf die wissenschaftliche Analyse von Gesellschaft und Wirtschaft beruft, um die Möglichkeiten für eine sozialistische Umwälzung konkret einzuschätzen. Als unzureichend galt beiden, lediglich einem Wunsch, einer Idee zu folgen (z. B. Utopischer Sozialismus; Anarchismus), um eine herrschaftsfreie Gesellschaft durchzusetzen. Als wesentlicher Text für die erste Begründung dieser Vorstellung ist die "Deutsche Ideologie" von 1845, darin das Kapitel "Feuerbach" (Marx-Engels-Werke, MEW, Bd. 3) zu sehen.

2. findet sich darin eine der frühen Formulierungen eines Menschenbildes, welches das freie, nicht-entfremdete, umfassend gebildete Individuum (!) in den Mittelpunkt der Gesellschafttheorie stellt. Gegenüber dem Einsatz von Arbeitern als reine Maschinenteile (Entfremdung von der Arbeit des Handwerkers) in der frühen Industrie führe die sozialistische Produktion zur Aneignung der Produktivkräfte durch die Arbeiter: "Die Aneignung einer Totalität von Produktionsinstrumenten ist schon deshalb die Entwicklung einer Totalität von Fähigkeiten in den Individuen selbst".

3. wird wissenschaftstheoretisch an die Erfolge der Naturwissenschaften angeknüpft, denen zunehmend gelang, mit globalen "Gesetzen" Welt/ Natur zu beschreiben. Und es ging darum, den Schöpfungsakt, der bis dahin durch die christlichen Kirchen als Dogma, als allein gültige Idee (Idealismus) verteidigt wurde, eine den Naturgesetzen entsprechende materialistische Philosphie entgegen zu stellen. Materialismus bedeutet nicht, an materiellem Besitz o. dgl. orientiert, sondern, die Entstehung der Welt aus sich selbst heraus zu erklären. Gegen Idee und Utopie wurde die positive "objektive Geschichtsschreibung" gesetzt (damit wurde auch an Formulierungen von Auguste Comte´ "Cours de Philosophie Positiv" angeknüpft, der Marx/ Engels allerdings als Reaktionär galt).

Und es ging darum, diese Sichtweise bzw. Analyse in der Gesellschaftswissenschaft ebenfalls als (nomologische) "große Theorie" zu fassen. "Da, wo die Spekulation aufhört, beim wirklichen Leben, beginnt also die wirkliche, positive Wissenschaft, die Darstellung der praktischen Betätigung, des praktischen Entwicklungsprozesses der Menschen". Solche Ansätze fanden sich durchgängig in der frühen Soziologie (z. B. Tönnies). Die "große Theorie", der Versuch, die Welt auch geisteswissenschaftlich in einem Wurf zu fassen (analog des Darwinschen Ansatzes etwa), wurde später durch die Ansätze des Historischen Materialismus und des Dialektischen Materialismus weiter in Richtung einer Naturgesetzlichkeit ( = Wahrheit) entwickelt. Heute entsteht die Frage, ob dabei im 20. Jahrhundert nicht auch Rechtfertigungstheorien für Terror und Gewalt gegenüber sozialistischer/ kommunistischer Opposition entstanden.

Mit den Bänden "Das Kapital" wurde Karl Marx zum Autor der zentralen Analyse der Bewegungsgesetze des kapitalistischen Systems im 19. Jahrhundert (vornehmlich in England). Angeregt wurde er - was oft vergessen wird - durch eine skizzenhafte ökonomische Analyse Friedrich Engels´ "Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" (1844; von Marx "geniale Skizze" genannt).

Durch die dem folgenden gemeinsame Arbeit, die der eigenen Selbstverständigung beider galt, der "Deutschen Ideologie", sind beide gleichermaßen als Begründer des Wissenschaftlichen Sozialismus zu sehen, der später in der gemeinsamen Arbeit weiter entwickelt wurde. Gegenüber Begriffen wie "Kommunismus" und "Marxismus" ist der des Wissenschaftlichen Sozialismus am wenigsten durch nachfolgende Strömungen und staatliches Handeln im "Realen Sozialismus" diskreditiert, und deshalb für eine heutige Würdigung der zu den bedeutendsten Wissenschaftlern des 19. JH gehörenden Autoren am ehesten geeignet.

Die Schrift "Die Deutsche Ideologie" wurde erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts veröffentlicht (beispielsweise Lenin und Luxemburg blieb sie unbekannt). Sie enthält in einem kurzen Abriss zur Geschichte die Grundvorstellung beider zur gesellschaftlichen Entwicklung. Die "Kritik der politischen Ökonomie", so der Untertitel der Bände des "Kapitals", analysiert dann spezieller die Bewegungsgesetze des aus Geld entstandenen Kapitals.

Wissenschaftlicher Sozialismus steht dabei gegen Strömungen wie z. B. dem utopischen Sozialismus. Neben der "dialektischen Methode", die Hegel vom Kopf auf die Füsse stelle, ging es methodisch darum, nicht zu fordern, was nicht "real" umsetzbar, was nicht im Schoße des Alten gereift sei. "Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt", heißt es in der Deutschen Ideologie. Es nütze nicht, wenn der Gedanke zur Wirklichkeit treibe, sondern die Wirklichkeit treibe den Gedanken. Und als Movens gesellschaftliche Entwicklung wird wesentlich die Arbeit, die gesellschaftliche Arbeit verstanden.

In der antagonistischen (unversöhnlichen) Gegenüberstellung von Kapital und Arbeit, vertreten durch die Charaktermasken Kapitalist und Arbeiter, die die sich gegenseitig bedingenden Hauptklassen (nicht die einzigen) in der kapitalistischen Gesellschaft stellen, überschreite sich das Kapital selbst. Die Entwicklung der Produktivkräfte (Maschinen bis hin zum Know How, also auch dem geistigen Anteil daran) sprenge aber zugleich die Bedingungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise; durch Rationalisierung (tendenzieller Fall der Profitrate) hebe sie die Arbeit auf, untergrabe also auch ihre eigene Grundlage, die Ausbeutung der Arbeiter und der Natur. Im "Kapital" wird die Funktion des Geldes, die Mehrwertproduktion und -aneigung, die Verelendung der arbeitenden Klassen uwm. analysiert.

Der humane Aspekt, das Ideologische - wenn mensch so will - findet sich in der "Deutschen Ideologie" bereits skizziert. "Es wird" - heisst es dort - "von den wirklichen tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozess auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dargestellt". Nicht die Ideen der Menschen bestimmten die Geschichte, sondern die materiellen Bedingungen, die sie vorfänden, bestimmten die Ideen, den Geist, das Bewußtsein, also: "Das Sein bestimmt das Bewußtsein".

Bei dieser Aussage ist 1. zu bedenken, dass sie im 19. JH gemacht wurde, zu einer Zeit, als z. B. Charles Darwin seine Evolutionstheorie im Dissens mit der Kirche zurückhaltend formulierte, die allein die göttliche Schöpfung der Welt anerkannte und keine irgendwie geartete Entwicklung des Menschen (gar aus dem Affen) akzeptierte (Literatur: Ernst Mayr, ... und Darwin hat doch recht, München 1994). 2. stand sie für Marx und Engels im Rahmen ihrer "dialektischen Methode" (nicht dialektischer Materialismus). D. h. sie gingen von einer gegenseitigen Abhängigkeit und Bestimmung von Sein und Bewußtsein aus. Das Bewußtsein (die Idee) gehört zum Sein, das somit auch vom Bewußtsein abhängig ist und nicht mechanisch abläuft (was wieder einer göttlichen Idee gleichkäme), wie von Sozialdemokraten und Kommunisten um die Jahrhundertwende zum 20. JH überwiegend vertreten (der Sozialismus käme quasi wie von selbst).

Der entscheidende Faktor der Dialektik ist in dieser Vorstellung für das Sein der Menschen die Arbeit. Der Mensch erfüllt sich 1. durch eine schöpferische Auseinandersetzung mit seinem Sein und verändert durch diese Arbeit die Welt und damit sich selbst - von den Gruppen der Sammler und Jäger über die Sklavenhaltergesellschaft und der bäuerlichen (absolutistischen) zur kapitalistischen Gesellschaft. Und 2. verändert sich in diesem Prozess die Arbeit selbst.

Es entsteht die Arbeitsteilung. Die erste urwüchsige Arbeitsteilung - heißt es in der "Deutschen Ideologie" - sei die von Mann und Frau, erste gesellschaftliche Arbeitsteilung die von Stadt und Land. Mit der Arbeitsteilung entstehe das Eigentum; "Teilung der Arbeit und Privateigentum" - gemeint ist nicht persönliches Eigentum, sondern das an Produktionsmitteln, mit dem andere ausgebeutet werden können - sind "identische Ausdrücke - in einem wird in Beziehung auf die Tätigkeit dasselbe ausgesagt, was in dem anderen in Bezug auf das Produkt der Tätigkeit ausgesagt wird".

Arbeitsteilung und Eigentum führen zur Entfremdung. Die Arbeit werde entfremdet, weil sie aufhöre, ein Teil der Natur des Arbeiters zu sein (wie noch tendenziell beim Handwerk). In der Familie schaffe zwar die Frau die Grundlage für die Produktion des Mannes, dennoch eigne dieser sich das Eigentum an deren beider Produktion an. Deutlich werde dies erst, wenn Überschüsse produziert würden, die als Ware verkauft werden. Gleichzeitig entfremde der Mann sich aber auch von seinem Produkt, der Ware.

"Die Teilung der Arbeit wird erst wirklich Teilung von dem Augenblicke an, wo geistige und materielle Teilung der Arbeit" eintritt, mit ihr sei "zu gleicher Zeit auch die Verteilung, und zwar die ungleiche, sowohl quantitative wie qualitative Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte gegeben, also das Eigentum, das in der Familie ... seine erste Form hat".

Aus dem Eigentum, später primär aus dem Eigentum an Produktionsmitteln, entstehe Herrschaft. Und zwar in ihrer vollendetsten Form bei weitgehender Vergesellschaftung der Produktion und gleichzeitig privater Aneignung durch wenige Kapitalisten. So haben sich - nach Marx und Engels - durch die Teilung der Arbeit die gesellschaftlichen Hauptklassen, Lohnarbeiter und Kapitalisten (und weitere Nebenklassen), gebildet, die sich unversöhnlich gegenüber stehen. Die Geschichte der Menschen sei daher eine Geschichte von Klassenkämpfen, der Arbeiter wende sich dabei gegen die Ausbeutung seiner Arbeit durch die Aneignung des von ihm geschaffenen Mehrwerts (gegenüber des von ihm dabei bloß verdienten geringen Lohns).

Erst im Kapitalismus seien die Produktivkräfte aber so weit entwickelt, dass die Existenzkämpfe um Lebensmittel aufhören. Erst hier werde der Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital so deutlich, dass die Arbeiterklasse diesen erkennen und in politisches Handeln umsetzen könne (als "Klasse für sich" - gegenüber der "Klasse an sich" zuvor). Erst jetzt (Mitte des 19. JH) sei die Arbeiterklasse auch zahlenmässig stark genug, um die soziale Revolution durchzusetzen. Erst hier seien die Produktivkräfte weit genug für die sozialistische Gesellschaft entwickelt.

Diese neue Gesellschaft - so die Autoren des wissenschaftlichen Sozialismus´ - entwickle sich als Keim im Schoße der alten. Die bisherigen Revolutionen der bürgerlichen Gesellschaften hätten nur die Machtverhältnisse unter den Klassen geändert, die sozialistische Revolution ändere aber die Art der Tätigkeit der Menschen und hebe damit durch die neue Verbindung von Hand- und Kopfarbeit die Entfremdung auf (die von der Arbeit und sich selbst). Dann beginne die wahre Geschichte des Menschen.

Das Ziel des Sozialismus sei die Emanzipation des Menschen, die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit durch Selbstverwirklichung innerhalb des Prozesses eines produktiven Verhältnisses von Mensch und Natur. Es ging Marx und Engels - gegenüber einem "rohen Kommunismus" der Gleichmacherei - um eine neue Epoche, in der gelten solle: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen".

Als Voraussetzung galt ihnen dabei ein gewisser Reichtum der Gesellschaft und eine bereits fortgeschrittene Vergesellschaftung besonders der Produktionsmittel "im Schoße des Alten", wie es sich in England mit der schon entwickelten Industrie bereits abzeichne. Die Revolution, die sie sich in den Frühschriften noch als relativ blutiges Ereignis vorstellten, solle dann die reale Entwicklung auch in der politischen Macht darstellen, vorerst durch die Herrschaft der Arbeiterklasse im Staat. Der Staat würde im weiteren Prozess der Vergesellschaftung "absterben", formulierte Engels später, politische Herrschaft fände so ihr Ende. Im Vorwort zum zweiten Band des "Kapital" spricht er davon, dass Karl Marx sich in England eine revolutionäre Umwälzung über das Parlament habe vorstellen können.

Im Netz: http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/index.htm

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