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menschensohn

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Menschensohn

Der Menschensohn ist nach hebräischem und aramäischem Sprachgebrauch die Bezeichnung des Einzelwesens ?Mensch?, im Buch Daniel des Alten Testaments (7,13 f.) ein Himmelswesen, dem Gott die Herrschaft übergibt. Im Neuen Testament erhielt Menschensohn eine besondere Ausprägung als Selbstbezeichnung Jesu.

Table of contents
1 Das Problem der synoptischen Menschensohn-Worte
2 Der traditionsgeschichtliche Hintergrund
3 Die synoptischen Menschensohn-Worte
4 Lösungsversuche, die auf der Erwartung einer apokalyptischen Menschensohngestalt beruhen
5 Lösungsversuche, die auf dem aramäischen Idiom beruhen
6 Weiterführende Information

Das Problem der synoptischen Menschensohn-Worte

Gemäss den Evangelien sprach Jesus von Nazareth oft vom Menschensohn. Doch wen meinte er damit? Diese Frage ist in der neutestamentlichen Forschung sehr umstritten. Im folgenden eine Darstellung der Problemlage und der wichtigsten Lösungsversuche (Vertreter dieser Lösungsversuche sind in Klammer genannt).

Der traditionsgeschichtliche Hintergrund

Der Ausdruck "Menschensohn" (griechisch "ho hyios toy anthropoy", eigentlich "der Sohn des Menschen") ist ungewöhnlich. Griechisch würde man nicht auf die Idee kommen, so etwas zu sagen. Besonders merkwürdig für griechische Ohren ist der bestimmte Artikel bei "des Menschen". Es spricht alles dafür, dass es sich dabei um eine wörtliche Übersetzung aus dem Aramäischen handelt: "bar änascha" oder "bar nascha".

"Menschensohn" als aramäisches Idiom

Im Hebräischen wie im Aramäischen bedeutet die Wendung "Sohn des X" unter anderem auch "ein bestimmtes Exemplar der Gattung X". "Menschensohn" meint also zunächst einmal einen bestimmten Menschen, im Gegensatz zu "Mensch" als Gattungsbegriff. Es findet sich in den aramäischen Schriften aber auch Belege, die sich am ehesten generisch verstehen lassen ("jeder Mensch"), und andere, wo Menschensohn indefinit gebraucht wird ("jemand"). Auch der Gebrauch als Selbstreferenz ("ich") ist bezeugt, allerdings erst in späten Targumen.

"Menschensohn" in der jüdischen Apokalyptik

Der Ausdruck "Menschensohn" taucht in Daniel 7,13 auf: "und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie der Sohn eines Menschen..." Er begegnet auch in den Bilderreden des äthiopischen Henochbuches und im vierten Esrabuch. Dies legt nahe, dass es zur Zeit Jesu die Erwartung einer apokalyptischen Richtergestalt gab, die den Titel "Menschensohn" trug. "Menschensohn" wäre dann ein Hoheitstitel, wie "Messias", "Herr", "Sohn Gottes" oder "König". Jesus hätte dann diesen Titel aufgegriffen und die Erwartung auf sich selbst bezogen, oder die Urgemeinde hätte dies nach Ostern gemacht.

Die synoptischen Menschensohn-Worte

Der Ausdruck "Menschensohn" ist ausserhalb der synoptischen Überlieferung recht selten, in den synoptischen Evangelien dafür umso häufiger. In den Synoptikern kommt er ausschliesslich im Munde Jesu vor. Wenn man die Zweiquellentheorie voraussetzt, findet man sowohl im Markusstoff als auch im Stoff der Logienquelle (Q) als auch im Matthäus- und Lukas-Sondergut Menschensohnworte. Dies, und die aramaisierende Formulierung, spricht dafür, dass wir es mit sehr alter Überlieferung zu tun haben, die zumindest teilweise auf Jesus selbst zurückgeht.

Inhaltlich lassen sich die Menschensohnworte in drei Gruppen einteilen:

a) Der kommende Menschensohn (apokalyptische Richtergestalt)

Mk 13,26 parr: "Und dann wird man den Menschensohn auf den Wolken des Himmels kommen sehen mit grosser Macht und Herrlichkeit." (Man fühlt sich unweigerlich an Dan 7,13f erinnert)

Lk 12,40 par (Q): "Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, wo ihr es nicht meint."

b) Der gegenwärtige Menschensohn (seine Hoheit und Niedrigkeit)

Mk 2,28 parr (gegenwärtige Hoheit): "So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat."

Lk 9,58 par (Q; gegenwärtige Niedrigkeit): "Die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn dagegen hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen kann."

c) Der leidende, sterbende und auferstehende Menschensohn

Mk 9,31 parr (zweite Leidensankündigung): "Der Menschensohn wird in die Hände der Menschen ausgeliefert, und sie werden ihn töten, und nachdem er getötet worden ist, wird er nach drei Tagen auferstehen."

Diese Art von Menschensohnworten fehlt im Q-Stoff (wie dort überhaupt die Passionsüberlieferung fehlt). Sie ist bei Exegeten natürlich auch besonders "verdächtig", da sie sehr leicht als nachösterliche Bildung erklärt werden kann.

Lösungsversuche, die auf der Erwartung einer apokalyptischen Menschensohngestalt beruhen

Viele exegetische Lösungsversuche der Menschensohnfrage gehen davon aus, dass der Begriff "Menschensohn" zur Zeit Jesu als Titel für eine apokalyptische Richtergestalt verstanden worden ist. Einerseits würde dies gut zu Jesu Reich-Gottes-Verkündigung passen, die ja auch apokalyptische Züge trägt, andererseits sind diese Worte auch als nachösterliche Eintragungen der Evangelisten auf Grund der Erwartung einer Wiederkunft des Auferstandenen verständlich.

Im heutigen Kontext der synoptischen Evangelien ist mit dem Menschensohn stets Jesus selbst gemeint, als der Gegenwärtige, der in naher Zukunft Leidende, der zum Gericht Wiederkommende. Aber wen meinte Jesus selbst? Meinte er sich selbst, wenn er vom Menschensohn sprach? Oder meinte er jemand anderen?

Jesus kündigt einen anderen an

Diese klassische Hypothese, vertreten von Rudolf Bultmann und vielen anderen, besagt, der irdische Jesus habe die Ankunft einer von ihm selbst verschiedenen Richter- und Heilbringergestalt mit dem Titel "Menschensohn" angekündigt. Authentisch seien jene Menschensohn-Worte, die vom Kommen des zukünftigen Menschensohnes redeten, die anderen seien - ebenso wie die Identifizierung von Jesus mit diesem Menschensohn, d.h. die Erwartung einer Parusie Jesu Christi auf Grund des von ihm angekündigten Kommens des Menschensohnes - sekundäre Gemeindebildungen.

Kritik: Die Vorstellung, Jesus habe zwischen Gott und ihm selbst einen Dritten als über Endheil und Verwerfung entscheidende Grösse erwartet, ist problematisch. Lk 12,8, wo "ich" und "Menschensohn" im gleichen Satz vorkommt, wird zwar als Argument vorgebracht, dass Jesus zwischen sich selbst und dem Menschensohn unterscheidet; die gleiche Stelle zeigt aber auch (wenn man sie denn als authentisch betrachtet, was ebenfalls umstritten ist), dass Jesus die Haltung ihm gegenüber (und nicht einer dritten Person gegenüber) als entscheidend ansieht für das zukünftige Gericht. Ausserdem muss die Sichtweise damit leben, dass die nachösterliche Verkündigung Jesus ''gegen dessen Willen'' mit dem Menschensohn identifiziert hat.

Selbstidentifikation Jesus-Menschensohn

Eine andere Hypothese geht davon aus, dass die apokalyptische Richtergestalt mit dem Titel "Menschensohn" Jesu Selbstverständnis entsprach: er habe an die Menschensohn-Erwartung aus der jüdischen Apokalyptik angeknüpft, um seine eigene Person und Rolle im göttlichen Heilsplan zu beschreiben (Holtzmann).

Von dieser Hypothese gibt es zahlreiche Untervarianten. Zum Beispiel wird gesagt, Jesus habe sich als Menschensohn bezeichnet, um dadurch seinen Anspruch auszudrücken, er sei der Messias designatus, der gemäss einer Vorstellung des zeitgenössischen Judentums verborgen unter den Menschen lebe, bevor er offenbar werde (Hampel). Oder er verstehe sich selbst als den, der von Gott in der Zukunft den Status des Menschensohn-Weltenrichters zugewiesen bekomme. Der Menschensohn sei für Jesus nicht eine personale Gestalt, sondern eine symbolische Beschreibung seiner eigenen erwarteten Würde, des Status und der Funktion des Richters (Higgins). Schwierigkeiten haben diese Sichtweisen vor allem mit denjenigen Menschensohn-Worten, die von der Gegenwart sprechen, sei es von der Niedrigkeit oder der Hoheit. Sind die Worte, in denen Jesus sich schon in seinem irdischen Leben für sich als Menschensohn(!) in Anspruch nimmt, Herr über den Sabbat zu sein (Mk 2,28 parr), als sekundär zu betrachten? Gerade diese machen doch sehr deutlich, weswegen Jesus Anstoss erregt hat und schliesslich angeklagt wurde.

Andere Varianten der Hypothese sagen, Jesus stelle sich selbst funktional gleich mit dem kommenden Menschensohn. Dies ist eine dynamische, auf Vollendung harrende Erwartung, welche die Urgemeinde zu einer statisch in Jesu Gegenwart vollendeten Identifikation machte (Colpe). Oder er verstehe sich selbst als den irdischen Doppelgänger des himmlischen Menschensohnes (Merklein). Oder es wird verneint, dass er überhaupt an der Identität des Menschensohnes interessiert sei, vielmehr gehe es ihm um die Sache, das bevorstehende Gericht, in dem der Mensch beurteilt werde gemäss seiner Stellung gegenüber Jesus und seiner Sendung. Jesus sehe zwischen sich und dem Menschensohn nicht eine "Identität der Personen", sondern eine "Identität der Heilsgemeinschaft" (Gnilka, ähnlich auch Becker).

Die Hauptkritik an all diesen Lösungsversuchen ist aber, dass es keineswegs klar ist, dass der Begriff "Menschensohn" der Titel einer apokalyptischen Gestalt ist. Dan 7,13 ist auch so verständlich, dass nach dem Auftritt der Tiere nun als Kontrast eine Gestalt auftritt, die aussieht "wie ein Mensch" (eigentlich "wie ein Exemplar der Gattung Mensch"). Schwerer wiegt, dass "Menschensohn" nirgends prädikativ verwendet wird. Es gibt keinen Beleg, dass von jemandem gesagt wird, er sei der Menschensohn, eine Selbstaussage Jesu "ich bin der Menschensohn" findet sich ebenso wenig wie ein Bekenntnis "du bist der Menschensohn" oder die missionarische Verkündigung "Jesus ist der Menschensohn". Bei anderen Hoheitstiteln ist dies zu finden (z.B. Mt 16,16 für "Christus" und "Sohn Gottes", Mk 15,26 für "König der Juden", Phil 2,11 für "Herr"). Wäre "Menschensohn" ein fester Titel, der auf Jesus angewendet wird (sei es von ihm selbst oder von der Gemeinde), so wäre gemäss der Kritiker dieser Auffassung doch zu erwarten, dass ihm dieser Titel explizit zugesprochen (oder von seinen Gegnern abgesprochen) wird.

Lösungsversuche, die auf dem aramäischen Idiom beruhen

Wenn "Menschensohn" kein Hoheitstitel, keine traditionsgeschichtliche Übernahme eines apokalyptischen Motivs ist, was dann? Manche Exegeten versuchen, den Gebrauch des Begriffes "Menschensohn" in den synoptischen Evangelien rein vom aramäischen Idiom zu verstehen. Es gibt dazu verschiedene Möglichkeiten, wobei nun jeweils andere Menschensohnworte im Vordergrund stehen, nämlich diejenigen aus Gruppe b):

Exklusive Selbstreferenz

Wenn Jesus "Menschensohn" sagt, so sei dies nichts anderes als eine bescheidene Umschreibung von "ich" (Vermes, Müller, Schwarz). Der Vorteil diese Hypothese ist, dass fast alle Menschensohnworte verständlich gemacht werden können. Es stellt sich allerdings die Frage nach dem Kriterium, wann Jesus "ich" und wann er "Menschensohn" sagt. Besteht ein Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Formen der Selbstreferenz? Ausserdem sind es gerade die Aramaisten, die ein Fragezeichen setzen, weil dieser Sprachgebrauch eben erst im späten Aramäisch bezeugt ist (Fitzmyer).

Generischer Gebrauch

Im Anschluss an den (in Texten aus der Zeit Jesu bezeugten) aramäischen Sprachgebrauch gebrauche Jesus "Menschensohn" idiomatisch im Sinne von "jeder Mensch" (Casey). Es ist dies auch eine Form der Selbstreferenz, bei der aber alle Menschen eingeschlossen werden, in Aussagen, die auf einer ersten Ebene allen Menschen und auf einer zweiten Ebene von ihm selbst gelten. Nicht einfach Jesus selbst, sondern jeder Mensch ist "Herr über den Sabbat", dies entspricht gut dem Anliegen Jesu in Mk 2,23-28. - Gegen diese Hypothese spricht, dass nur wenige Menschensohnworte vor diesem Hintergrund wirklich verständlich sind, und dass es schwer zu erklären ist, wie die Urgemeinde später exklusiv von Jesus selbst als dem Menschensohn sprechen konnte, wie es in den synoptischen Evangelien der Fall ist.

(Reduzierte) inklusive Selbstreferenz

Wenn Jesus "Menschensohn" sage, so meine er sich selbst, aber nicht ausschliesslich: er meine vielmehr auch jeden Menschen, der ihm ähnlich ist, der ihm nachfolgt, der sein Schicksal teilt. Menschensohn heisse soviel wie "ein Mensch wie ich" (Lindars) oder auf gut Deutsch "unsereins". "Unsereins hat nichts, wo er sein Haupt niederlegen kann" (Lk 9,58) - das gilt für Jesus, aber auch für diejenigen, die ihm nachfolgen, jedoch nicht für alle Menschen. - Die Kritik, die an der Hypothese vom generischen Gebrauch angebracht werden kann, gilt allerdings auch hier.

Weiterführende Information

Literatur

Anton Vögtle: Die "Gretchenfrage" des Menschensohn-Problems. Herder, Freiburg 1994 (QD 152) ISBN 3-451-02152-8

siehe auch Jesus Christus, Gottessohn, Messias und Lamm Gottes

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