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ingaevonische sprachgruppe

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Ingaevonische Sprachgruppe

Zur Ingaevonischen Sprachgruppe (auch: ingväonische Sprachgruppe) fasst man die nordseegermanischen Sprachen, also
  • die Friesische Sprache,
  • die Englische Sprache,
  • die Niedersächsische Sprache (Plattdeutsch)
  • und die Niederländische Sprache
zusammen und stellt sie sie dem Hochdeutschen und den Oberdeutschen Sprachen und Dialekten gegenüber.

Table of contents
1 Herkunft des Begriffs
2 Merkmale der Ingaevonischen Sprachgruppe

Herkunft des Begriffs

Der Begriff geht zurück auf den römischen Schriftsteller Cornelius Tacitus. Dieser hatte in seiner Schrift DE ORIGINE ET SITU GERMANORUM von drei Kulturkreisen der Germanen berichtet, von denen die Ingävonen am nächsten dem Ozean wohnten: Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est, Tuistonem deum terra editum. Ei filium Mannum, originem gentis conditoremque, Manno tris filios adsignant, e quorum nominibus proximi Oceano Ingaevones, medii Herminones, ceteri Istaevones vocentur., zu deutsch Sie feiern mit alten Gesängen ihre nach Erinnerung und Überlieferung gemeinsame Abstammung, dass die Erde den Gott Tuisto hervorgebracht habe. Dessen Sohn sei Mannus, Ursprung und Gründer des Geschlechts (der Germanen). Dem Mannus schreiben sie drei Söhne zu, nach deren Namen die dem Ozean am nächsten gelegenen Ingaevonen, die mittleren Hermionen und die übrigen Istaevonen genannt wurden.

Auf dieser Quelle beruht die Vorstellung, dass an der Nordsee die Ingaevonen wohnten, zu denen die Friesen, die Kimbern, die Teutonen, die Sachsen, die Angeln, die Jüten und die Chauken gehörten. Ein Teil dieser Völker, insbesondere die Angeln, Jüten, Sachsen und Friesen besiedelte am Ende des Römischen Reiches die Insel Britannien und bildete dort die Angelsachsen.

Zweite Quelle für den Begriff ist der römische Schriftsteller Plinius der Ältere, der in seiner Historia naturalis von den Ingvaeones, in anderer Translitteration auch Inguaeones berichtet.

Der Begriff ingaevonisch ist dementsprechend in mehreren Schreibweisen verbreitet: neben der Fassung Tacitus ingaevonisch kommt auch ingävonisch sowie besonders häufig ingväonisch vor.

Merkmale der Ingaevonischen Sprachgruppe

Einige Germanisten stellen gemeinsame Merkmale der Sprachen als Ingaevonismen (Ingväonismen) heraus.

Lautverschiebung

Die Ingaevonischen Sprachen haben die zweite germanische Lautverschiebung nicht mitgemacht. Dies haben sie mit den Nordgermanischen Sprachen gemeinsam und dies unterscheidet sie von Hochdeutsch und den mitteldeutschen und oberdeutschen Sprachen und Dialekten einschl. Jiddisch:

  • d blieb d / th, wurde nich zu t: Vadder, father, fæder, vader (Niedersächsisch, Englisch, Altenglisch, Niederländisch) (deutsch: Vater)
  • p im Anlaut blieb p, wurde nicht zu pf: Pund, pound, pond (deutsch: Pfund)
  • p nach Vokal blieb p, wurde nicht zu f: slapen, sleep, slapen; open, open, open (deutsch: schlafen, offen)
  • t blieb t, wurde nicht zu s/ss: water, water, water; foot, foot, voet (deutsch: Wasser, Fuß)
  • k blieb k, wurde nicht zu ch: Ik, I, ik; week, weak, week; Week, week, week; Book, book, boek (Ich, weich, Woche, Buch)

Andere Ingaevonismen

Weitere Merkmale sind:
  • Ersatzdehnung vor Frikativ: fiev, five, fijf (deutsch: fünf)
  • Wegfall des t in der 3. Person Singular von sein: is, is, is
  • Wegfall des r im Personalpronomen 3. Person Mehrzahl: wi, we, wij (auch in skandinavischen Sprachen)
  • Anderer Wortstamm bei Personalpronomen: he, he, hij (er), ji, you, jullie (ihr)
  • 3 Kasus-System ohne Unterschied zwischen Dativ und Akkusativ
  • Futurbildung mit dem Hilfsverb schallen(sallen), shall, zullen: Ik schall (sall) - I shall - Ik zal (Ich werde)

Dem Nordniedersächsischen, Mecklenburgischen, Englischen und Friesischen ist gemeinsam, dass das Partizip Perfekt ohne das Präfix ge- gebildet wird. Dies es Merkmal tritt auch bei den skandinavischen Sprachen auf, dagegen nicht bei den südlichen niederdeutschen Sprachen und Dialekten (Niederländisch, Westfälisch, Ostfälisch) sowie im hochdeutsch-oberdeutschen Sprachraum.

Daneben gibt es auch spezielle lexikalische Gemeinsamkeiten zwischen Englisch und Nordniedersächsisch, die im Niederländischen nicht auftauchen, z.B. lütt/little für klein.

Kritik

Das Konzept der Ingaevonischen Sprachgruppe ist in der Germanistik umstritten. So ist die Syntax des Niederländischen und der Niedersächsischen Sprache der hochdeutschen Syntax insgesamt ähnlicher als der englischen und m.E. der friesischen Syntax. Die Friesische Sprache wird aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dem Dänischen und Norwegischen in einigen Systematiken auch zu den nordgermanischen Sprachen gerechnet.

Bei allen Systematiken muss bedacht werden, dass die Sprachen insbesondere im Nord- und Ostseeraum in vielfältiger Weise äußeren, oft gegenseitigen Einflüssen ausgesetzt waren. So hat die französische Sprache sowohl Englisch (nach 1066), aber auch Niederländisch und Niedersächsisch (Napoleonische Zeit, Seefahrt) beeinflusst. Niedersächsisch sprechende Seefahrer fuhren auf englischen Schiffen und umgekehrt. Das Mittelniederdeutsch der Hanse hinterließ bleibende Spuren in den skandinavischen Sprachen. England war zur angelsächsischen Zeit auch dänisch/norwegisch beeinflusst, erhebliche Teile des niedersächsischen/ostniederdeutschen Sprachraums waren in der Neuzeit dänisch bzw. schwedisch regiert.

Die historische Quellenlage ist teilweise dürftig, insbesondere hinsichtlich der Vorläufer der heutigen niedersächsischen, aber auch der friesischen Sprache. Vielfach lässt sich daher nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, ob bestimmte Sprachmerkmale bereits vor 1000 n. Chr. vorhanden waren oder ob sie sekundär aufgrund späteren Einflusses entstanden sind. Umfangreicheres Material existiert vornehmlich aus dem angelsächsischen England.

Indirekt lässt sich allerdings erschließen, dass Angelsächsisch und Altsächsisch sowie die skandinavischen Sprachen einander mehr ähnelten als den mitteldeutschen (altfränkisch) und oberdeutschen Sprachen. So wurden unter Karl dem Großen vorzugsweise angelsächsische Missionare im 8. Jahrhundert nach Sachsen geschickt, dagegen nicht die - ebenfalls verfügbaren - fränkischen Mönche. Der fränkisch-stämmige Apostel des Nordens, der Heilige Ansgar, musste vor Antritt seiner Skandinavien-Reise im Kloster Corvey sächsisch lernen, da er sich mit dieser Sprache besser mit den Dänen und Schweden verständigen konnte.

Literatur

  • Cornelius Tacitus: DE ORIGINE ET SITU GERMANORUM

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