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Frauenstimmrecht (Schweiz)

Das Frauenstimmrecht wurde in der Schweiz auf eidgenössischer Ebene am 7. Februar 1971 eingeführt. Die Schweiz war somit das letzte europäische Land, welches seiner weiblichen Bevölkerung die vollen Rechte als Bürgerinnen zugestand. Bis das Frauenstimmrecht auch in allen Kantonen durchgesetzt war, sollte es noch weitere 20 Jahre dauern: Am 25. März 1990 gab das Bundesgericht einer Klage von Frauen aus Appenzell Innerrhoden Recht und bestätigte damit die Verfassungswidrigkeit der Innerrhoder Kantonsverfassung in diesem Punkt.

Der Hauptgrund für die lange Verzögerung liegt ohne Zweifel im politischen System der Schweiz. Bei Vorlagen, welche die Verfassung betreffen, entscheidet allein das stimmberechtigte Volk. Um das Stimmrecht auf den verschiedenen Ebenen einführen zu können, bedurfte es jeweils die Mehrheit der stimmberechtigten Männer. Auf nationaler Ebene war zudem die Ständemehrheit nötig. Ein weiteres Hindernis lag in der Tatsache, dass in der Bundesverfassung (BV) von 1848 das Stimm- und Wahlrecht an den aktiven Wehrdienst gekoppelt war (nur wer Wehrdienst leistete, durfte wählen und abstimmen).

Table of contents
1 Chronologie
2 Verfassungsartikel von 1971
3 Argumentation
4 Auswahl beteiligter Personen
5 Parteien
6 Literatur
7 Weblinks

Chronologie

18. und 19. Jahrhundert: Frauen organisieren sich

Die Französische Revolution von 1789 wird allgemein als Beginn der Frauenrechtsbewegung angesehen, so auch in der Schweiz.

In der ersten Bundesverfassung von 1848 (siehe auch Geschichte der Schweiz) wird die Rechtsgleichheit erklärt: "Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich".

Frauen werden jedoch mit keinem Wort erwähnt, es versteht sich aber von selbst, dass sie nicht gemeint sind.

In den Jahren von 1860 bis 1874 organisieren sich die Schweizer Frauen erstmals (auch nach dem Vorbild der erstarkenden Frauenbewegung in anderen Ländern). Sie fordern zivilrechtliche und politische Gleichstellung für die geplante erste Revision der Bundesverfassung.

Im Jahr 1874 wird die Erste Revision der Bundesverfassung vom Stimmvolk angenommen. Obwohl es im Vorfeld große Diskussionen für und wider die politischen Rechte der Frauen gab, kommen auch in der neuen Verfassung keine Frauen vor.

1886 reichen die Frauen ihre erste Petition ans Parlament ein.

"Man hat seit Beginn der Verfassungsrevision eine allseitige Erweiterung der Volksrechte verkündet und dabei allenthalben alles Mögliche und Unmögliche versprochen, nur die armen Frauen scheinen, gleich den Poeten bei der Theilung der Erde, mit leeren Händen davon gehen zu müssen: Niemand spricht von ihnen und niemand gedenkt ihrer verkümmerten und unterdrückten Menschenrechten!"

schreibt Marie Goegg-Pouchoulin in ihrem von Dutzenden von Frauen unterzeichneten Schreiben.

Diese Aktion erregt so viel Aufmerksamkeit, dass Anfang des folgenden Jahres (1887) die Forderungen der Frauen erstmals den Weg in eine Tageszeitung finden. In ihrem Artikel Ketzerische Neujahrsgedanken einer Frau in der Zürcher Post macht Meta von Salis auf sich und auf die Ansprüche der Frauen aufmerksam. Neben den fehlenden politischen und zivilrechtlichen Rechten kritisiert sie die bestehende "Ungleichheit vor dem Richter". Im selben Jahr fordert Emilie Kempin-Spyri, die erste Schweizer Juristin, die Zulassung zum Anwaltsberuf und scheitert vor dem Bundesgericht.

Während des Jahres 1894 bereist Meta von Salis das Land und hält in allen größeren Städten Vorträge zum Thema "Frauenstimmrecht und die Wahl der Frau". Ihre Referate sind schlecht besucht und an einigen Orten wird sie ausgepfiffen, sie lässt sich aber nicht entmutigen. Im selben Jahr findet in Chicago die erste Internationale Frauenausstellung statt, die über die Stellung der Frau in den verschiedenen Ländern informieren soll.

Zwei Jahre später, 1896, wird in Genf der Erste Nationale Frauenkongress organisiert. Erstmals werden die Frauen als einflussreiche Gruppierung ernst genommen und mehrere (männliche) Redner rufen sie dazu auf "Verbündete der Männer zu sein und nicht deren Feindinnen" - und sich doch bitte etwas zurückzuhalten mit ihren Forderungen. Als Folge dieses Kongresses wird die erste parlamentarische Kommission mit dem Ziel, die "Frauenfrage" zu untersuchen, gegründet.

1897 schreibt Carl Hilty seinen Aufsatz zum Frauenstimmrecht:

"Die Freiheit besteht wesentlich darin, dass man an der Gesetzgebung Theil nimmt; alles Andere ist eine Gewährung von Rechten, die auf dem guten Willen eines Dritten beruht und deshalb eine sehr zweifelhafte Errungenschaft. Wir betrachten also unsererseits das Frauenstimmrecht als den praktischen Kern der Frauenfrage."

1900 - 1959: Vorstöße und Verschleppungstaktiken

Um die Jahrhundertwende organisieren sich die Frauen im ganzen Land und bilden verschiedene Frauenvereine für oder gegen das Frauenstimmrecht. Die beiden wichtigsten sind der Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF) (Dachverband, Gründung 1900) unter der Leitung von Helene von Mülinen und der Schweizer Verband für Frauenstimmrecht (SVF) (1909).


Abstimmungsplakat von 1920

Während des Ersten Weltkrieges kommt die Bewegung ins Stocken, weil wichtigere Probleme im Vordergrund stehen. Unter Anderem leisten die Frauenverbände die gesamte Sozialfürsorge während des Krieges, da die Schweiz zu diesem Zeitpunkt noch keine Sozialversicherungen kennt.

Beim Generalstreik von 1918 ist das Frauenstimmrecht die zweite von neun Forderungen. Im Dezember werden zwei erste Vorstöße für das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene durch die Nationalräte Herman Greulich (SP) und Emil Göttisheim (FDP) gemacht. In zwei Motionen wird der Bundesrat aufgefordert, "Bericht und Antrag einzubringen über die verfassungsmäßige Verleihung des gleichen Stimmrechts und der gleichen Wählbarkeit an die Schweizerbürgerinnen wie an die Schweizerbürger."

Ein halbes Jahr später, im Juni 1919, reichen 158 Frauenverbände eine Petition ein, um den beiden Motionen mehr Gewicht zu verleihen. In der Folge werden die Motionen Greulich und Göttisheim von Nationalrat angenommen und zur Ausführung an den Bundesrat überwiesen. Dort verschwinden sie jedoch wegen "dringenderer Probleme" für die nächsten Jahre in die Schreibtischschublade von Bundesrat Heinrich Häberlin (FDP). 15 Jahre später, 1934, übergibt Häberlin das unerledigte und ungeliebte Geschäft seinem Nachfolger mit dem Hinweis: "Das Material für das Frauenstimmrecht liegt in der mittleren Schublade rechts Deines Schreibtisches".

Zwischen 1919 und 1921 finden in mehreren Kantonen Abstimmungen zur Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler Ebene statt. Sie werden überall mit großen Mehrheiten abgelehnt.

Der Zweite Nationale Frauenkongress von 1921 in Bern verläuft ereignislos. Für einmal steht nicht das Frauenstimmrecht, sondern die Berufstätigkeit und Erwerbsarbeit im Vordergrund.

1923 reicht eine Gruppe von Bernerinnen eine staatsrechtliche Beschwerde ein. Sie wollen ihr "Stimmrecht in Gemeinde-, Kantons- und Bundesangelegenheiten ausüben", werden jedoch vom Bundesgericht unter Berufung auf das "Gewohnheitsrecht" abgelehnt.

Fünf Jahre später, 1928, wendet sich Nationalrat Léonard Jenni mit einer Petition an den Bundesrat und weist darauf hin, dass der Begriff "Stimmbürger" in der deutschen Sprache Menschen beiderlei Geschlechtes beinhaltet. Das Gesuch wird mit folgender Begründung abgelehnt:

"Wenn man nun behauptet, dass der Begriff auch die Schweizer Frauen in sich schließen sollte, so überschreitet man die Grenzen der zulässigen Interpretation und begeht damit einen Akt, der dem Sinne der Verfassung widerspricht. [...] Die Beschränkung des Stimmrechts auf die männlichen Schweizer Bürger ist ein fundamentaler Grundsatz des eidgenössischen öffentlichen Rechts."


Die SAFFA-Schnecke von 1928

Im Sommer desselben Jahres findet die Schweizerische Ausstellung zur Frauenarbeit SAFFA statt. Im Umzug fährt ein denkwürdiger Wagen mit: eine Schnecke namens "Frauenstimmrecht". Die Organisatorinnen werden für die Schnecke stark kritisiert und einige Kritiker sehen diese gar als Zeichen, für die politische Unreife der Frauen.

Der SVF lanciert 1929 eine neue Petition für das Frauenstimmrecht und erreicht diesmal eine Rekordzahl von Unterschriften, die sogar die geforderte Anzahl Unterschriften für eine Volksinitiative überschreitet: 170397 Unterschriften von Frauen und 78840 Unterschriften von Männern. Der Katholische Frauenbund distanziert sich explizit von den Forderungen der anderen Frauenverbände. Auch andere gegnerische Organisationen reagieren und 1931 nimmt die Schweizer Liga gegen das politische Frauenstimmrecht mit einer Eingabe an den Bundesrat "Stellung gegen die Verpolitisierung der Schweizerfrauen". Immer wieder schreiben die Frauen und Männer der Liga, allen voran Emma Rufer, an den Bundesrat und die Parlamentarier und bitten sie inständig, von dem Thema abzulassen:

Die Theorie der politischen Gleichstellung der beiden Geschlechter ist eine vom Ausland importierte Idee. An der Spitze der Frauenstimmrechtsbewegung in der Schweiz steht denn heute auch eine ursprüngliche Ausländerin.

Wir halten dafür, dass in diesen wichtigen Sachen eigentlich nur gebürtige Schweizerinnen den richtigen Einblick haben können; Leute also, die mit dem Wesen unserer Demokratie und unseres Volkes ganz vertraut sind.

Während den Dreißiger- und frühen Vierzigerjahren werden die Bemühungen um das Frauenstimmrecht einmal mehr von den internationalen Ereignissen überschattet. Mehrmals werden die Frauen während diesen Jahren aufgefordert, die "Demokratie zu schützen" worauf die das Stimmrecht befürwortenden Frauenverbände antworten, dazu müssten sie zuerst über demokratische Rechte verfügen. Gegen Ende des 2. Weltkrieges kommt die Frage wieder aufs Tablett, da insbesondere bürgerliche (genannt "freisinnige") Frauen im Gegenzug zu ihrem Einsatz im FHD (militärischen Frauenhilfsdienst) ihre demokratischen Rechte einfordern. Noch während des Krieges wird das Aktionskomitee gegen das Frauenstimmrecht gegründet:

Wir erblicken in der Beteiligung der Frau in Partei und Politik eine Gefahr für unsere Familien und für die Einigkeit der Frauen unter sich, die sich besonders in der sehr kritischen Zeit des Überganges vom Krieg zum Frieden ungünstig auswirken könnte.

Der dritte Nationale Frauenkongress von 1946 bringt keine neuen Fortschritte in Sachen Frauenstimmrecht.

1948 werden im ganzen Land Feiern zum 100jährigen Bestehen der Bundesverfassung durchgeführt und die "Schweiz, ein Volk von Brüdern" gefeiert. Die Frauenverbände erklären es um zu einem "Volk von Brüdern ohne Schwestern" und überreichen dem Bundesrat symbolisch eine Europakarte mit einem schwarzen Fleck in der Mitte. Zu diesem Zeitpunkt hatten alle europäischen Länder außer der Schweiz das Frauenwahlrecht eingeführt. Wie zuvor die SAFFA-Schnecke wurde diese symbolische Karte von Kritikern als Zeichen der politischen Unreife der Frauen interpretiert.

Im Jahr 1950 legt der Bundesrat einen Bericht an die Bundesversammlung über das für die Einführung des Frauenstimmrechts einzuschlagende Verfahren vor. Von nun an ist unbestritten, dass es eingeführt werden muss, die Frage ist wann und wie.

1951 wendet sich der Schweizerische Frauenkreis gegen das Frauenstimmrecht unter der Leitung von Dora Wipf mit einem Schreiben an den Bundesrat:

"wir glauben also, dass wir guten Gewissens behaupten dürfen, die Mehrheit der Schweizerinnen zu vertreten, wenn wir Sie bitten, die Frage wohl zu erwägen, ob in der heutigen Zeit, da die Frau mit Pflichten aller Art stark belastet ist, man ihr die Übernahme weiterer großer Pflichtenkreise noch zumuten darf. [...] Wir glauben nicht, dass unser Land politisierende Frauen braucht, sondern Mütter, leibliche und geistige Mütter, die mithelfen, dass Hass und Misstrauen überwunden werden. Wir vertreten grundsätzlich den Standpunkt, dass die Einführung überhaupt abzulehnen sei."

Ein Jahr später, 1952 verlangen Antoinette Quinche, Präsidentin des "Schweizerischen Aktionskomitees für das Frauenstimmrecht", und 1414 Mitstreiterinnen von ihren Gemeinden die Eintragung ins Stimmregister. Mit dem Argument, die jeweiligen Kantonsverfassungen würden Frauen nicht explizit vom Stimmrecht ausschließen, gehen sie mit ihrer Forderung bis vor Bundesgericht. Wie bereits 1923 werden sie unter Berufung auf das "Gewohnheitsrecht" ablehnt.

1957 findet eine Abstimmung statt, in der Zivilschutzdienst für alle Schweizer Frauen obligatorisch werden soll. Während der Volksabstimmung ereignet sich ein Skandal: Die Frauen der walliser Gemeinde Unterbäch gehen alle - unterstützt vom Gemeinderat - abstimmen. Der Gemeinderat erklärt, dass laut Verfassung die Gemeinden gesetzlich zuständig seien, um die Stimmregister aufzustellen. Die Abstimmung wird vom Kanton Wallis und vom Bund für diese Gemeinde annulliert.


Abstimmungsplakat von 1958

Im Jahr 1958 findet einerseits die Zweite Schweizerische Ausstellung zur Frauenarbeit SAFFA statt, andererseits erscheint das umstrittene Buch Frauen im Laufgitter von Iris von Roten (der deswegen von verschiedenen Seiten die Schuld am Scheitern der Abstimmung von 1959 gegeben wird).

Kurz vor der Abstimmung erscheint eine neue gegnerische Organisation auf dem politischen Parkett: Das Schweizerische Aktionskomitee gegen die Verfassungsvorlage über die Einführung des Frauenstimmrechts im Bund hat sich kein geringeres Ziel gesetzt, als die Schweiz vor dem Untergang zu retten:

"Die Vorlage missachtet mit der bloßen Kopierung ausländischer Wahlrechtsverhältnisse die Besonderheiten unserer direkten Referendumsdemokratie, in welcher der Stimmbürger nicht nur wählt, sondern dauernd über oft recht schwierige Sachfragen entscheiden muss.

Am 1. Februar 1959 scheitert die erste Volksabstimmung über das eidgenössische Frauenstimmrecht ganz klar am Volks- und Ständemehr. Protestaktionen und Frauenstreiks in der ganzen Schweiz sind die Folge. Im Herbst können die Frauen jedoch endlich erste Erfolge verzeichnen: Als erster Kanton nimmt Neuenburg das Frauenstimmrecht an, die meisten anderen Kantone folgen in den anschließenden Jahren.

1959-1971: Endspurt

Nach der Ablehnung wird der Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht gegründet. Der Verein argumentiert damit, dass die Frauen aufgrund ihrer biologischen Verschiedenheit durch ihre politische und rechtliche Gleichstellung benachteiligt würden.

Im Laufe des Jahres 1965 gibt es mehrere parlamentarische Motionen zur Einführung des Frauenstimmrechts auf eidgenössischer Ebene. Die rechtlichen Voraussetzungen für den Beitritt der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention musste geschaffen werden. Trotzdem verhält sich der Bundesrat zögerlich.

In den Folgejahren werden immer wieder Motionen an den Bundesrat gestellt. Dann erreichen die Jugendunruhen von 1968 auch die Schweiz und die schweizer Frauenbewegung. Junge Feministinnen gehen auf Konfrontationskurs und veranstalten Protestaktionen und Demonstrationen im ganzen Land.

Da ihnen der SVF zu wenig radikal ist (sie bezeichneten diesen als "gemütlich") gründen sie die Frauenbefreiungsbewegung FBB, eine radikalfeministische Vereinigung junger Frauen. Am 1. März 1969 findet der Marsch auf Bern statt: 5000 Frauen und Männer demonstrieren vor dem Bundeshaus in Bern. Der Resolution von Emilie Lieberherr wird von den Versammelten mit großem Applaus zugestimmt:

"Die hier versammelten Schweizerinnen fordern das volle Stimm- und Wahlrecht auf eidgenössischer und kantonaler Ebene und in den Gemeinden. Die Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten darf erst unterzeichnet werden, wenn bezüglich des Stimm- und Wahlrechts kein Vorbehalt mehr nötig ist.

Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter ist eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte. Sämtliche vorgeschlagenen Vorbehalte stellen die Glaubwürdigkeit unseres Landes als Rechtsstaat und Demokratie in Frage.

Wir fordern deshalb alle gutgesinnten Politiker und Stimmbürger auf, das Frauenstimm- und Wahlrecht im Bund, in den Kantonen und in allen Gemeinden so rasch als möglich zu verwirklichen."

5000 Demonstrierende tönt nicht so spektakulär, hat die Politiker der damaligen Zeit jedoch ziemlich erschreckt. Inzwischen opponierten nämlich nicht allein die radikalen Stimmrechtsvereine und der FBB, sondern auch konservative Frauenorganisationen (Gemeinnütziger Frauenbund, Landfrauenverband, Katholischer und der Evangelischer Frauenbund).


Der Marsch auf Bern

Durch Häuserbesetzungen und kämpferische Protestaktionen macht der FBB auf sich aufmerksam. Die Gruppierung wird vom Frauenstimmrechtsverein scharf kritisiert, da befürchtet wird, die Aktionen könnten "der Sache" schaden. Die Öffentlichkeit, insbesondere die jungen Menschen, begrüßen hingegen die schärfere Gangart des FBB.

Nun folgt ein fast endloses politisches Hin und Her zwischen Bundesrat, Nationalrat und Ständerat, bis endlich eine allgemein anerkannte Abstimmungsvorlage zur Einführung des Frauenstimmrechts erarbeitet ist. Derweil gehen die Protestaktionen der FBB weiter.

Der Abstimmungskampf selber verläuft relativ ruhig und optimistisch: Alle Regierungsparteien und die beiden einflussreichsten Berufsverbände (Gewerkschaftsbund, Bauernverband) haben die JA-Parole herausgegeben. Die Schweiz ist sich für einmal einig. Nach 123 Jahren Kampf seit der Bundesverfassung von 1848 gewähren schließlich die Schweizer Männer ihren Frauen aktives und passives Wahlrecht und Stimmrecht bei politischen Entscheidungen. Am 7. Februar 1971 wird die Vorlage vom (männlichen) Stimmvolk mit 621403 gegen 323596 Stimmen (65,7% Ja) angenommen.

"Endlich, endlich, endlich ... Von mir fallen Zentner. Die Aufgabe, die seit bald hundert Jahren ungelöst von einer Generation zur anderen tradiert wurde, hat in der letzten "Männerabstimmung" vom 7. Februar 1971 ihre glanzvolle Erfüllung gefunden.

Fortan wird es nur noch Volksabstimmungen geben im wahren Sinn des Wortes."
(Gertrud Heinzelmann).

Verfassungsartikel von 1971

Folgende beiden Artikel wurden am 1. Februar 1971 in veränderter Form in der Verfassung verankert (Änderungen unterstrichen):

Art. 74 BV:
Bei eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen haben Schweizer und Schweizerinnen die gleichen politischen Rechte und Pflichten.
Stimm- und wahlberechtigt bei solchen Abstimmungen und Wahlen sind alle Schweizer und Schweizerinnen, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und nicht nach dem Rechte des Bundes vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen sind. Der Bund kann auf dem Wege der Gesetzgebung über die Stimm- und Wahlberechtigung in eidgenössischen Angelegenheiten einheitliche Bestimmungen aufstellen.
Für Abstimmungen und Wahlen der Kantone und Gemeinden bleibt das kantonale Recht vorbehalten.

Art. 136 Abs. 1 BV:
"Die politischen Rechte in Bundessachen stehen allen Schweizerinnen und Schweizern zu, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und die nicht wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind. Alle haben die gleichen politischen Rechte und Pflichten."::

Argumentation

Pro

  • Gleichheitsartikel (Art. 1 BV 1848): "Alle Schweizer sind vor dem Gesetz gleich"
  • Stimm- und Wahlrecht ist ein Menschenrecht - Frauen sind auch Menschen
  • Grundlegende Freiheiten dürfen nicht vom guten Willen Dritter abhängen sondern müssen direkt ausgeübt werden können
  • Wer an Gesetze gebunden ist, muss in einer Demokratie auch das Recht haben, bei der Gesetzgebung mitzubestimmen
  • Frauen haben sich im militärischen Hilfsdienst ebenso für ihr Land eingesetzt, wie die wehrpflichtigen Männer. Deshalb haben sie auch das Recht, politisch mitzubestimmen

Contra

  • Die Frauen selbst wollen das Stimmrecht gar nicht; die große Mehrheit der Schweizerfrauen ist nicht für, sondern gegen seine Einführung
  • Der Staat ist männlich
  • Die Frau leistet keinen Militärdienst
  • Die Frauen verstehen nichts von der Politik
  • Die Frau gehört ins Haus (diese These wurde nicht mit der Abwertung, sondern mit der Achtung der Frauen unterlegt. Politik sei ein zu schmutziges Geschäft für Frauen)
  • Fehlendes Bedürfnis für das Frauenstimmrecht (Frauen hätten bereits die Möglichkeit, ihre politische Meinung indirekt über ihre Ehemänner zur Geltung zu bringen)
  • Vorauszusehende negative Auswirkungen auf die Frauen (Verlust ihrer "Weiblichkeit" und neue Abhängigkeiten)
  • Vorauszusehende negative Auswirkungen des Frauenstimmrechts (insbesondere die Diskriminierung der Männer aufgrund der Bevölkerungsmehrheit der Frauen)
  • Die Idee der politischen Gleichstellung der Geschlechter ist unschweizerisch, da aus dem Ausland importiert

Auswahl beteiligter Personen

Befürworter(innen) Gegner(innen)

  • Marie Goegg-Pouchoulin
  • Julie von May von Rüed
  • Meta von Salis-Marschlins
  • Helene von Mülinen
  • Carl Hilty
  • Léonard Jenni
  • Antoinette Quinche
  • Emilie Lieberherr
  • Gertrud Heinzelmann
  • Marthe Gosteli

  • Heinrich Häberlin
  • Jakob Bircher
  • Emma Rufer
  • Dora Wipf

Parteien

  Pro Contra
1959

  • Landesring der Unabhängigen (LDU)
  • Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS)
  • Partei der Arbeit (PdA)

  • Bauern und Gewerbepartei BGB (die spätere SVP)

  Die anderen Parteien erteilten ihren Mitgliedern Stimmfreigabe und gaben keine Abstimmungsparole heraus.
1971

  • Freisinnig Demokratische Partei (FDP)
  • Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS)
  • Christlichdemokratische Volkspartei (CVP, ehem. Katholisch-Konservative)
  • Bauern- und Gewerbepartei (BGB, heutige SVP)
  • Landesring der Unabhängigen (LdU)
  • Evangelische Volkspartei (EVP)

Keine Parteien, aber ebenfalls einflussreich:
  • Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB)

  • Schweizerischer Bauernverband

keine

Literatur

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