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christliche verantwortung

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Christliche Verantwortung

Die Zeitschrift "Christliche Verantwortung" (CV) entstand neben dem gleichnamigen Verein 1965 in der DDR. Zweck der Zeitschrift war es, das Ministerium für Staatssicherheit bei dem Versuch zu unterstützen, die Zeugen Jehovas in der DDR zu schwächen und im Besonderen zu zersetzen. Das Ziel bestand darin, Zeugen Jehovas zu veranlassen, sich von der Wachtturm-Gesellschaft zu lösen.

Erster Herausgeber bis 1970 war Willi Müller (IM "Rolf"), der sich aus eigenen und übergeordneten Gründen bemühte, mit anderen Gruppen, die der Zeugen Jehovas-Leitung gegenüber kritisch eingestellt waren, zusammenzuarbeiten. Dazu wurde sie an viele Haushalte der Zeugen Jehovas in der DDR geschickt und Gegnern im In- und Ausland zugänglich gemacht. Die Zeitschrift wurde in kürzester Zeit zitiert, beispielsweise in dem innerkirchlichen Dienstblatt "Sektenkundliche Mitteilungen" der DDR. Der Historiker Waldemar Hirch schätzt, dass 80-85 % der dort erschienenen Artikel direkt der CV entnommen waren. Dadurch konnte die Haltung der Kirchenleitung und der Pfarrer gegenüber Zeugen Jehovas beeinflusst werden.

Ab 1970 gab Karl-Heinz Simdorn (auch als Wolfgang Daum bekannt), die Zeitschrift heraus. Maßgeblicher Mitarbeiter und "Spiritus rector" war Dieter Pape (IM "Wilhelm"). Mit zum Kreis gehörte Manfred Gebhard (IM "Kurt Berg"). Letzterer trennte sich nach eigenen Angaben ab 1972 wieder von dieser Gruppe. Letzterer war 1970 auch Herausgeber eines kritischen und auch in der Bundesrepublik als Standardwerk über Zeugen Jehovas verwendeten Buches "Die Zeugen Jehovas: Eine Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft". Der eigentliche Verfasser war Dieter Pape (IM "Wilhelm"). Mit dieser tendenziösen Dokumentation wurden die meisten der etwa 40 Redaktionsmitglieder geschult. Alle diese Arbeiten wurden im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit erstellt. Der Wahrheitsgehalt der Inhalte wurde den Zielen angepasst.

In der einschlägigen, an der Juristischen Hochschule des MfS als Schulungsmaterial in Sachen Zeugen Jehovas verwandten Studie von Kleinow/Wenzlawski findet sich auch die Klage:

"Erhebliche Komplikationen und Probleme entstehen im Prozeß der Gewinnung und späteren Zusammenarbeit mit ehemaligen Mitgliedern der WTG, die sich nicht nur von der Politik der WTG, sondern bereits im Ergebnis der Wirkung der Widersprüche und die Gewinnung persönlicher Erkenntnisse auch weltanschaulich prinzipiell von der WTG losgesagt haben. Diese Kandidaten kehren in der Regel nur widerwillig im Auftrage des MfS in die WTG zurück und neigen in der Zusammenarbeit ständig dazu, auszubrechen mit dem Ziel, sich sowohl von der WTG endgültig zu lösen als auch den Forderungen des MfS auszuweichen."

Das MfS war daher bemüht "zweigleisig" zu fahren, dergestalt, dass selbst einige Zeugen Jehovas in verantwortlichen Stellungen in seinem Dienst standen. Ein Beispiel der unter dem Klarnamen bekannte Wolfgang Kirchhoff, der für seine "Verdienste" für das MfS gar den vaterländischen Verdienstorden der DDR kassierte. Oder IM "Hans Voss", dem in Unkenntnis seiner tatsächlichen Rolle, eine Selbstdarstellung im "Wachtturm" vom 15. April 1992 (S. 26-30) gewährt wurde.

Zu den Methoden der CV gehörte es, Hintergrundinformationen des MfS ohne Quellenangabe aufzunehmen, fiktive Geschichten und Leserbriefe über Zeugen Jehovas zu verbreiten, Gespräche anhand von Persönlichkeitsanalysen der führenden Zeugen Jehovas zu konstruieren. Offiziell wurde die Zeitschrift bis Januar 1990 geführt. Finanziert wurde sie in erster Linie vom Ministerium für Staatssicherheit und dem Staatssekretariat für Kirchenfragen. CV wurde vom letzten Herausgeber in der DDR, Werner Struck, bis 1993 weitergeführt. Ab da übernahm es der katholische Diplom-Theologe Klaus-Dieter Pape, Sohn von Dieter Pape. Das in "Aus christlicher Verantwortung" umbenannte Blatt wurde 1996 eingestellt, nachdem K.-D. Pape klar geworden war, dass es ein Mittel des MfS gewesen war.

Die DDR-Kirchenpolitik agierte auch in anderen Bereichen ähnlich. Der zweibändigen "Chronik der Berliner Konferenz europäischer Katholiken", herausgegeben von Hubertus Guske, ist entnehmbar: dass auch diese Organisation welche die Distanziertheit der katholischen Kirche gegenüber dem DDR-Staat aufweichen wollte, finanziell am Tropf des DDR-Staates hing, dass ihre Resonanz im "Ansprechfeld" unbefriedigend war; dass auch sie sich im laufe der Zeit, auf Funktionärsebene ausdehnte, und vor internen Querelen nicht verschont blieb. Ihr Organ "Begegnung" startete 1961; die CV 1965. In beiden Fällen haben sich die Wünsche ihrer Inspiratoren nicht erfüllt.

Literatur

  • Waldemar Hirch: Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas während der SED-Dikatur, Frankfurt/Main, Bern 2003. ISBN3-631-51620-7

  • Gerhard Besier; Clemens Vollnhals (Hg.): Repression und Selbstbehauptung. Die Zeugen Jehovas unter der NS- und der SED-Diktatur. Zeitgeschichtliche Forschungen, Band 21, Berlin 2003. ISBN 3428106059.

  • Waldemar Hirch (Hg.): Zersetzung einer Religionsgemeinschaft. Die geheimdienstliche Bearbeitung der Zeugen Jehovas in der DDR und in Polen. Niedersteinbach. 2001. ISBN 3-00-006250-5

  • Gabriele Yonan: "Jehovas Zeugen". Opfer unter zwei Diktaturen. 1933-1945. 1949-1989. Bd. 1. Berlin. 1999.

Gegendarstellung in:
  • Manfred Gebhard: "Geschichte der Zeugen Jehovas. Mit Schwerpunkt der deutschen Geschichte", Berlin 1999. ISBN 3-89811-217-9

  • Andre Gursky: "Zwischen Aufklärung und Zersetzung. Zum Einfluß des MfS auf die Zeugen Jehovas in der DDR am Beispiel der Brüder Pape" Sachbeiträge 27 Hrsg. Von: Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2003.

Weblinks

  • http://www.manfred-gebhard.de/ProjektCV.htm Ausgabenarchiv der "Christlichen Verantwortung"

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