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adorno als zeitkritiker

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Adorno als Zeitkritiker

So vielseitig das Werk Adornos auch ist, in jeder wissenschaftlichen Disziplin, in der er arbeitete untersuchte er das Objekt der Forschung stets auf seine gesellschaftliche Wirkung und seinen gesellschaftlichen Nutzen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, 1933, hatte er sein entscheidendes Thema gefunden: Die Untersuchung der gesellschaftlichen Tendenzen, die autoritäre Systeme nützen, sie erst ermöglichen. Die Frage, wie er es in der "Dialektik der Aufklärung" ausdrückt, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft Menschlichen Zustand einzutreten, immer wieder in Barbarei zurückfällt. Diese Tendenzen sind für ihn freilich nicht nur in der deutschen Gesellschaft vorhanden, sie sind allen Gesellschaften immanent.

Adorno war ein Kenner marxistischer Theorie, stand der Praxis derer aber stets ablehnend gegenüber. Ein richtiger Marxist war er wohl immer, wie zumeist bei ihm nur im theoretischen, utopischen Sinne, die Realität dieser Theorie sah er Zeit seines Lebens weder erfüllt, noch erfüllbar. Selbst schrieb er, in einem Brief an Eduard Grosse: "Wenn das Recht auf volle Freiheit und Autonomie des Gedankens und nicht die wirtschaftliche Konzeption den Begriff Liberalität definiert, dann bin auch ich ein Liberaler."

In diesem Kapitel werden nun noch einige politische und historische Themen Adornos behandelt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Frage nach dem entstehen des Faschismus, seinem Verhältnis zur UDSSR und die Frage, wie man Auschwitz am besten verarbeiten soll. Danach soll dann noch ein Blick geworfen werden auf die Beziehung Adornos zur Studentenbewegung. Zum Abschluss soll schließlich noch versucht werden, in wiefern Adornos Theorie auch heute noch ihre Aktualität und Daseinsberechtigung hat.

Table of contents
1 Von Faschismus und Kommunismus
2 Antisemitismus nach dem Krieg: Vergessen der Vergangenheit
3 Adorno und der Studentenprotest

Von Faschismus und Kommunismus

Die Einschränkung des individuellen Geistes durch das Regime war für Adorno das wesentlich problematische, was von beiden Systemen ausging(Neben der Vernichtung von Minderheiten versteht sich). Er bezeichnete deshalb, einem Begriff den Habermas im Wesentlichen für die gewalttätigen Ausfälle der Studenten kreierte folgend, auch das kommunistische System der UDSSR als faschistisch, "linksfaschistisch". Ein solcher Begriff ist natürlich dialektisch zu sehen, wie auch Adorno in einem Brief an Marcuse betonte.

Die Frage, warum Adorno in das Deutschland zurückgekehrt ist, dass ihn derart verjagte, wusste Adorno mit 2 Argumenten zu beantworten: Zum Einen war der Faschismus in Deutschland nicht die Auswirkung eines genuin deutschen Nationalcharakters, sondern für ihn Folge des sozio- ökonomischen Zustandes. Dieser hätte über anders auch Überhand nehmen können. Das dieses, Auschwitz, wie er das nationalsozialistische System immer wieder nannte, wieder geschehen könnte, stand für ihn des weiteren außer Frage. Zu diesem aber mehr, wenn über die "Aufarbeitung der Vergangenheit" berichtet wird. Das zweite Argument war das, dass er in seiner Heimat wohl versuchen wolle das ihm Mögliche zu tun um derartiges, Auschwitz, zu verhindern.

Der Regierung im Nachkriegsdeutschland stand Adorno freilich kritisch gegenüber. Vor allem gegen die Notstandsgesetze richtete er sich massiv, nahm an Kundgebungen gegen eben diese Teil. "Der Appetit wächst mit dem Essen. Kommt man auf den Geschmack, so finden sich auch Anwendungen, die Gesetze zu nutzen." Dies entgegnete Adorno jenen, die diese als reine Vorkehrung für die Möglichkeit einer Eskalation sahen. Der Regierung Adenauer stets kritisch gegenüberstehend(im Gegensatz zu Horkheimer, welcher sich oft für diese Aussprach, diesen auch mehrmals persönlich traf), war er sich mit ihr in einem einig: Die Verharmlosung der UDSSR kann nicht geduldet werden. Diese versuche zwar mit Friedenspropaganda über ihr wahres Gesicht hinwegzutäuschen, diese Täuschung dürfe aber keinen Erfolg haben. Sie war für ihn genauso menschenverachtend wie die nationalsozialistische Regierung in Deutschland es war. Politik jedoch hat für ihn im optimalen eine andere Bedeutung als die, des Machtspieles zwischen Staaten. Dieses macht sie zur bloßen Fassade, denn der wahre Sinn der Politik sei die bewusste, unabhängige und kritische Anstrengung, durch Gedanken und Tat anstelle schlechter gesellschaftlicher Verhältnisse menschenwürdigere herbeizuführen.

Im Falle solcher totalitärer Regime sah Adorno es auch für durchaus sinnvoll an, diese mit militärischen Mitteln zu stürzen, wie es die Alliierten mit den Nationalsozialisten machten, denn wer naiv, in der Sprache des Pazifismus, zur Ächtung des Kriegs aufruft nimmt dabei die UDSSR stillschweigend aus, stellt diese sich doch als friedenswillig dar. In diesem totalitären Regime der UDSSR sah er auch nie die Umsetzung der marxistischen Gedanken, denn zum einen sei kein Gedanke vor dem Wahn gefeit, der zum Götzen stilisiert werde und zum Anderen heiße Marx wörtlich zu nehmen ihn in sein Gegenteil zu verkehren. Er ist mit Rudolf Augstein im Einklang, wenn er schreibt: "Das Potential einer besseren Gesellschaft wird eher dort bewahrt, wo die bestehende ohne Rücksicht analysiert werden darf, als dort, wo die Idee einer besseren Gesellschaft verderbt ward, um die schlechte bestehende zu verteidigen"

Antisemitismus nach dem Krieg: Vergessen der Vergangenheit

Stultorum infinitus est numerus - Antisemitismus nach dem Krieg

Nach dem Krieg, so könnte man annehmen, hätten die Mitläufer des nationalsozialistischen Regimes erkennen müssen, dass die Propaganda gegen die Juden, der sie aufgesessen waren, ein großer Fehler war. Doch Statistiken beweisen, dass 15% der Bevölkerung offensichtlich sich als Antisemiten gebärden, ein weiteres Drittel hat latente Vorurteile gegen Juden. Und das vor allem in den Ländern, die sich am Meisten des Völkermordes schuldig machten: Deutschland und Österreich. Solche Tendenzen zurückzudrängen war und ist eine wesentliche Aufgabe aller öffentlichen Institutionen, ob Politik, Gewerkschaft oder Kirche. Letztere hat sich nach dem Krieg massiv gegen ein erneutes Aufkeimen von Antisemitismus gewehrt. Dabei hatte sie vor allem ein Problem: Der Antisemitismus musste nicht erneut aufkeimen. Der Antisemitismus war noch immer in den Köpfen der Leute.

Gründe für den immer noch latenten Antisemitismus

Dieser hat sein Fundament nicht im wesentlichen in den neuen, antisemitischen, Parteien, wie etwa der NPD sondern in den Überzeugungen aus den Jahren des nationalsozialistischen Regimes. Diese Ideologie war der Führung unabhängig, mittlerweile vielen Menschen ins Blut übergegangen. Sie war sogar höchst anpassungsfähig. Eine kleine Anekdote Adornos zeigt dies: Als er einmal zurück nach Frankfurt kam hörte er ein paar Chauffeure, antisemitisch sich unterhalten. Er ließ diese festnehmen und versuchte später mit deren Sprecher sich zu unterhalten, der entgegnete ihm: "Ach wissen Sie, früher waren wir Nazi, heute sind wir Ami und morgen sind wir Kommi"

So offensichtlich freilich gehen nicht alle Ewiggestrige mit ihrer Ideologie um. Genährt wird sie auch mehr unterschwellig durch Medien, wie etwa die "Nationalzeitung". Immer nur andeutend, nie sich der Gefahr aussetzend, der Wiederbetätigung sich schuldig zu machen, propagieren diese Medien das nationalsozialistische Gedankengut. Diese Andeutung, diese Überzeugung hatte Adorno, kann gefährlicher sein, als die offene Rede. Die Möglichkeit, diese Botschaften in alle Richtungen zu interpretieren erweitert oft das Bedeutungsspektrum dieser Aussagen in eine radikalere Richtung, als der Autor es manchmal geplant hat.

Genährt wird diese Ideologie aber nicht nur aus diesen Medien, Kampagnen für die Etablierung der Juden in der deutschen Gesellschaft, die reklameartig den Juden als Gutmensch darstellt kann Ressentiments viel stärker noch beeinflussen. Diese Darstellungen sind ebenso plakativ, wie die der Nationalsozialisten gegen die Juden. Genau auf diese Ebene sollte man für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus nicht begeben.

Ein dritter Einfluss ist der, der Vereinfachung. Als Beispiel dafür nimmt er das Horoskop. Wie dieses seiner Meinung nach wirkt wurde bereits geschildert. In seiner Art, Autoritäten zu generieren, denen man sich zu unterwerfen hat, schafft es nicht nur eine Loslösung von Verantwortung, sondern auch Rancune, wie Adorno sagen würde, gegen die Macht des Fremden, die das eigene Leben dirigiert. Diese ist komischer Weise nicht die Autoritäre, welche dies tatsächlich tut sondern das Fremde.

Wie man nun mit dem Antisemitismus umgehen muss, um ihn zurückzudrängen, oder diesen gar vollends abzuschaffen, dass soll nun an 2 Methoden reflektiert werden.

Verhinderung des Neuaufkeimens von Antisemitismus durch Erziehung

Diese kann nur dann statt finden, wenn der Mensch nicht in Berührung mit der Propaganda gekommen ist und diese als positiv aufgenommen hat. Um diese Verhinderung durch Erziehung zu erreichen, ist es zudem nötig, dass die Eltern überzeugte Nicht- Antisemiten sind, da eine Einwirkung auf den Charakter eines Menschen schon in der Schule unmöglich sein kann, zumal diese oft eine Ausnahmesituation darstellt. In der Schule lässt sich ja schon der autoritäre Charakter eines Menschen erkennen, indem man nachvollzieht, wie er sich in dieser Mikrogesellschaft "Klasse" verhält. Die wesentliche Prägung hin zum, oder weg vom Antisemitismus bekommt der Schüler durch die Eltern. Wirken die Lehrer aber mit Autorität gegen autoritäre Charaktere so entsteht ein Charakter, den Adorno als ödipalen Charakter bezeichnet. Der, fremde, Lehrer wird wie der verhasste Vater abgelehnt und beneidet, die Familie, wie die Mutter, sowie deren autoritärer Charakter werden geliebt.

Wenn aber ab ovo ein Kind nicht dem Antisemitismus näher gebracht wird, so ist ein Abfall in diesen eher unwahrscheinlich, höchstens durch anderes nahes Umfeld, wie etwa die Freunde zu erreichen.

Vertreibung der antisemitischen Züge aus den Köpfen Ideologisierter

Diese Methode ist eigentlich keine wirkliche, da Adorno sich sicher war, dass schon ideologisierte autoritäre Charaktere nicht mehr zur Erfahrung fähig sind. Diesen kann man nur damit begegnen, in dem man sie offensiv angeht und sie für Verfehlungen jeder Art zur Rechenschaft zieht(Dieser Theorie folgte Adorno auch bei seiner Anzeige gegen die Chauffeure). Tritt man einem solchen autoritären Charakter entgegen so ist es essentiell für Adorno keine Angst zu zeigen, denn man imponiert bissigen Hunden indem man ihnen erkennen gibt, dass man sich nicht fürchtet, aber ist wehrlos, wenn er innerviert, dass man sich eigentlich fürchtet.

Diese geschilderten Methoden sind eine Beschreibung dessen, was Adorno in einer Rede als notwendig ansah, um dem Antisemitismus entgegentreten zu können.

In den frühen sechziger Jahren wurde die Rede laut, man müsse die Vergangenheit aufarbeiten. An dem war auch für Adorno nichts verwerfliches, aber die Art und das "Wer" dieser Debatte irritierten ihn, weshalb er sich genötigt sah, eine Rede zu halten in der er sich mit dem Thema "Aufarbeitung der Vergangenheit" auseinander setzte.

Ignavum scelus est tantum fuga - Wie man mit der Vergangenheit umgeht

Die Debatte um die fällige Aufarbeitung der Vergangenheit war damals eine notwendige, wäre sie von allen Seiten ernst geführt worden. Das dem nicht so ist hat wohl der Historikerstreit gezeigt, der vor allem daher rührt, dass manche Beteiligte sich nicht ganz im klaren sind, wie sie ihre Vergangenheit zu betrachten haben. So war die Debatte um eine Aufarbeitung der Vergangenheit eine scheinheilige, deren Ziel es nur war, sich die Hände rein zu waschen, denn man wollte die Vergangenheit nicht im ernst behandeln sondern unter ihr einen Schlussstrich ziehen. Dieses Vergessen und Vergeben ist aber einzig das Recht derer, denen Unrecht getan wurde. Die Forderung nach diesem Vergessen und Vergeben kommt aber von der Seite, die selbst Parteigänger derer waren, die Auschwitz zu verantworten haben.

Damit freilich gaben jene zu erkennen, dass sie sich ihrer Schuld nicht bewusst sind, sie abwehren wollen. Diese Abwehr jedoch steht im massiven Widerspruch zu einer effektiven, und einer ihren Namen gerechtwerdenden, Aufarbeitung der Vergangenheit. Dass unter den Lasten der Vergangenheit das Leben schwer geworden ist, bestritt Adorno nicht, selbst stellte er sich doch die Frage ob nach Auschwitz es sich noch leben lasse. Zwar war dies bezogen auf seine Erfahrung, doch ein Mensch, der nicht der nationalsozialistischen Ideologie verfallen ist, hat es doch schwer, diese Vergangenheit mit sich herumzuschleppen.

Eine Möglichkeit jedoch diese Vergangenheit aufzuarbeiten besteht nach Adornos Überzeugung nur dann, wenn der Nationalsozialismus als Ideologie nicht mehr in den Köpfen der Menschen statt findet, ist sie doch eine größere Gefahr als die neofaschistische Tendenz. Diese Tendenzen, und das ist ja auch schon oben angeklungen, sind nicht die, welche nur ein kleiner, harter Kern wiedergibt, es sind Tendenzen im gesamten Volk, die zeigen, dass die Ideologie des Nationalsozialismus fortdauert. Diese Allgemeinheit wollte auch von all den Verbrachen nichts gewusst haben, die im Dritten Reich vorgingen. Adorno hat hier im wesentlichen Recht, wenn er dieses "Nichtgewussthabenwollen" in Proportion mit Gleichgültigkeit setzt. Die die gegen das Regime gekämpft haben, die haben es gewusst. Nach heutigen Erkenntnissen kann man wohl noch weiter gehen und sagen, es sei Ignoranz gegenüber diesen Vorgängen gewesen.

Die Schuld wird zudem in anderer Weise noch verweigert: Man betreibt Aufrechnung der Schuld. Die Methode zu sagen, "Auschwitz war schlimm keine Frage, aber Dresden...", ist nicht nur unzulässig, sie ist unmenschlich. In ihr steht das industrialisierte Gesellschaftsverständnis derer, die ebenso industriell- administrativ die Judenvernichtung in Auschwitz betrieben. Die Methode zu sagen, das Ausland sei schuld, das Hitler so weit ging, weil es ihn nicht stoppte ist noch verrückter, denn wer, wenn nicht das eigene Volk kann einen Herrscher seine Macht entziehen?

Eine letzte noch erschreckendere Methode ist die, die Besagt, Hitler hatte, zum Beispiel, bei der Gefahr des Bolschewismus recht, weshalb soll dann alles andere auch falsch gewesen sein. Diese Taktik freilich beachtet nicht, dass Hitler die Aggressivität der Sowjetunion erst im wesentlichen geschürt hat. In manchen Schichten der Bevölkerung vermochte Adorno sogar eine große Basis derer auszumachen, die der Meinung waren, dass der Untergang des dritten Reichs nicht auf seine Gestalt an sich zurückzuführen ist, sondern nur darauf, das taktische Fehler gemacht wurden. Dieses ist auf einen gesteigerten Narzissmus zurückzuführen, der daher rührt, das eine scheinbare nationale Einheit sich einer Minderheit übermächtig fühlte. Dass der Untergang dem System des dritten Reichs immanent war, das ist schon alleine auf das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus zurückzuführen, dass in seiner letzten Ausprägung, den MEFO-Wechseln und seinem Keynesianismus vollkommen instabil war.

Eine wahre Erinnerung an all die Gräuel, die Deutschland und seine Verbündeten und Annektierten verübten, ist zudem von der Politik gar nicht erwünscht, würde die Wahrheit doch bloß im Ausland schaden. Das solche Thesen zu negieren sind zeigte wohl am eindrücklichsten Willy Brandt mit seinem Kniefall zu Warschau. All diese Versuche, die Schuld zu verdrängen, hatten in Wirklichkeit nur einen Effekt und ein Ziel: "Die Ermordeten sollen noch um das einzige betrogen werden, was unsere Ohnmacht ihnen schenken kann, das Gedächtnis." Diese Gedanken aber, und das macht sie so erschreckend, sind im Einklang mit dem Zeitgeist, der besagt, dass wer sich keine Gedanken macht, keinen Sand ins Getriebe streut. Ein plötzliches Umschwenken der Bevölkerung wäre auch nicht zu erwarten gewesen, denn die autoritären Charaktere haben sich bereits gebildet gehabt. Der Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime war ohne Massenbasis, die wohl kaum durch eine Niederlage geschaffen werden konnte.

Die Niederlage war wie 1918 weder emotional noch rational akzeptiert worden. Dennoch kann eine Demokratie, so war die Überzeugung Adornos, es schaffen, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Nötig jedoch ist eine umfassende Debatte, Aufklärung und viel Zeit. Ein schmerzhafter Prozess, der sich bis heute sehr schleppend dahin zieht. Adorno gab dazu auch die Richtung vor, die die Selbstreflexion in das Zentrum rückt. Propaganda ist das Vorrecht des Totalitären. Unser gemeinsames Ziel, dass sicher bis heute nicht annähernd erreicht ist, formuliert er wie folgt: "Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen der Vergangenen beseitigt wären. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen."

Adorno und der Studentenprotest

Einleitung

Die Reflexion dieser Hassliebe gebührt allein schon eine Abhandlung in dem Umfang wie die hier vorliegende. Die Beziehung ist eine derart komplexe, dass nur Teile hier reflektiert werden können. Diese Beziehung in einem objektiven Rahmen zu analysieren ist für einen Außenstehenden kaum möglich. Beinahe eine jede Abhandlung zu diesem Thema ist im wesentlichen auf die von Streit durchwachsene Oberfläche bezogen, die meisten theoretischen Diskussionen wurden, auch auf Adornos Wunsch hin außerhalb der breiten Öffentlichkeit geführt, um diese nicht zu zerreißen.

Besonders gut ist eine Entwicklung des Verhältnisses zwischen Adorno und den Studenten an einem Briefwechsel zwischen ihm und Herbert Marcuse geschildert. Diesen formte Jan Philipp Reemtsma in ein Theaterstück um, das die Haltung beider sowie die aktuelle Situation gut beschreibt. Dieses Verhältnis soll also ein bisschen durchleuchtet werden. Im folgenden wird also mehr auf das Erzählen, den auf den Vorgang des wissenschaftlichen Abhandelns Wert gelegt.

Folgt auf Theorie die Praxis?

Die Studentenbewegung hatte ihren Sinn. Ein Einspruch gegen das Universitätssystem in Deutschland war nötig, da bestand zwischen den Studenten, wie zwischen den meisten Professoren kein Widerspruch, auch Adorno sah eine Universitätsreform als notwendig an. Auch gegen die faschistischen Tendenzen der Elterngeneration anzukämpfen war ein rechtmäßiger Vorgang, der von Adorno immer auf der Ebene der Wissenschaft unterstützt wurde. Irgendwann aber trennten sich diese Geister jedoch. Zu dem Zeitpunkt, in dem Adorno den Studenten nicht folgen wollte, diese versuchten ihn zu instrumentalisieren, da entstand eine Kluft. Die Studenten verlangten von Adorno, wie auch von anderen Mitgliedern am Institut, sich als Leitfiguren zu äußern. Adorno jedoch sah in der Bewegung, die eine gesamtgesellschaftliche Revolution forderte nur eine Bewegung, die auf eine Scheinrevolution hinsteuert, weshalb er sich der direkten Verbindung entzog.

Die Frage ob die Praxis der Theorie folgen muss ist eine ebenso unbeantwortete wie schwierige. Der geschichtliche Bezugspunkt der kritischen Gesellschaftstheorie ist die Marxistische Gesellschaftstheorie. Diese benötigt aber zur Möglichkeit einer Umsetzung in die Praxis eine "Revolutionäre Situation". Genau diese sah Adorno nie gegeben. Der Fehler, den die Studenten, wahrscheinlich wegen ihrer Unerfahrenheit machten, war, dass sie diese Situation verkannten. Marcuse meinte, dass die Revolution eine solche einleiten könnte. Dieser Streitpunkt wird nun behandelt.

Der Beginn des Disputs zwischen Adorno und den Studenten setzt wohl die Besetzung des Instituts durch die Studenten. Diese beschimpften Adorno nicht nur, sie versuchten auch das Institut zu besprayen. Adorno ließ als er sah, dass die Sache aus den Fugen geriet, das Institut räumen. Auch ein Mitglied des SDS, Detlev Claussen, heute selbst Professor und einer fleißigsten Erforscher des Adorno'schen Werks, bei der Besetzung dabei, schrieb später, dass Adorno dazu gezwungen wurde und, dass ihm dieser Vorgang sehr leid tat. Eben solche Vorgänge, Ausschreitungen während einer Vorlesung Adornos, gab es auch in Berlin, wo ihm von einem Studenten ein aufgeblasener Gummibärchenballon überreicht wurde. Adorno wurde auch mit Eiern beworfen, Habermas sogar getroffen. Adorno unterschied aber stets zwischen dem aktionistischen Flügel und dem theoretischen Flügel. Einer, der beide bediente, den er auch als seinen talentiertesten Schüler bezeichnete, Hans-Jürgen Krahl, wurde oft von Adorno auch privat eingeladen, um zu diskutieren. Dennoch ließ er gerade gegen ihn den Strafantrag aufrecht, um den Studenten nicht die Tür zu weiteren Verfehlungen zu öffnen. Seine Beziehung mit Krahl war sowieso eine sehr spezielle. Dieser hatte ein ähnlich breit gefächertes Wissen, wie das, auf das Adorno zurückgreifen konnte. Eben wie dieser konnte er immer druckreif sprechen, Gedanken geschliffen ausdrücken und mit seinen Vorträgen durchaus überzeugen. Seine Rhetorik war lauter als die Adornos, sehr unterschiedlich, manchmal auch undifferenziert. Bei einer Diskussion zwischen den zwei Gegenspielern ließ Adorno viele Anspielungen unbeantwortet, was unter manchen Intellektuellen befremden auslöste. Günther Grass etwa kommentierte das Geschehen dahingehend, dass Adorno seinen eigenen Schülern gegenüber resigniere. Grass sprach Krahl nur partielle Intelligenz zu. Diesem entgegnete Adorno zu ersterem, dass er sich bei besagter Podiumsdiskussion nicht wohl fühlte und diese auch nicht mit voller Kraft bestreiten konnte. Zu Krahl meinte er, dieser sei in seinen Seminaren anders, hätte sich selbst während der Diskussion bei ihm entschuldigt.

Auf einen Bericht eines Frankfurter Studenten hatte Marcuse Adorno seine Stellung deutlich gemacht: "Wenn ich mich zwischen Polizei und Studenten der Linken entscheiden muss, bin ich mit den Studenten."

Darauf folgt eine Kritik am Verhalten Adornos während der Institutsbesetzung. Außerdem betonte er, dass die Studenten vom IfS, nicht zu letzt von Adorno selbst beeinflusst seien. Adorno war daraufhin betroffen. Zum einen hatte Marcuse weder Adornos Meinung wirklich gehört, bevor er Stellung bezog, noch irgendeinen unabhängigen Eindruck von der Situation hatte. Marcuses Angriffe auch gegen Habermas Begriff des "Linksfaschismus" fand er nicht passend und überlegt. Als Dialektiker müsste Marcuse doch eigentlich wissen, dass es contradictiones gibt, meinte Adorno. Einen Umschwung vom Grundgedanken des Studentenprotestes, mit dem Adorno durchaus d'accord ging, war mit der Anwendung von Gewalt für Adorno bereits passiert. Marcuse sah es in seinem Brief auch als möglich an, dass Theorie durch Praxis vorangetrieben werden könne. Dem stimmte Adorno zu, diese Situation jedoch sah in der Situation damals verwirklicht, die eine Bewegung von Theorie in Praxis sinnvoll machen würde.

Auch den "Vietnam-Krieg" griff Marcuse auf. Er meinte sogar er könne nicht leben ohne sich der Studentenbewegung in diesem Punkt anzuschließen. Adorno entgegnete dem, es sei Ideologie, die Napalmbomben anzumakeln, aber den Gräueltaten der Vietcong widerstandslos zuzusehen. Zudem wären Marcuse, wie er selbst, nicht in Praxis übergegangen, als die Nationalsozialisten Deutschland übernahmen, und diese Situation war persönlich für sie wohl kritischer. Ein Automatismus hin zur Praxis, wie Marcuse ihn entwickelt, war in Adornos Augen "Selbsttäuschung". Nach diesen Briefen wurde eine weitere Vorlesung, ohne Grund, wie Adorno betont, gesprengt. Nicht nur, dass nicht einmal ein Scheingrund vorlag, auch waren die Störenden in der Minderheit, vermochten es jedoch, den Unterricht zu verhindern. Solche Vorgänge waren für Adorno unakzeptabel und diese konnte er sicher den Studenten auch nicht verzeihen. Der Lehrbetrieb, vor allem seine Vorlesungen waren ihm, für manche verständlich für manche nicht, schlicht heilig, eine Störung innerhalb des Lehrbetriebs nahm er einfach persönlich. Wenn also Hans Jürgen Krahl zu ihm sagt: "Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, es war nur politisch", so kann man sich sicher sein, dass Adorno es ihm trotzdem persönlich nahm.

Marcuses immer stärker werdenden Sympathien, den Studenten gegenüber nahm er dem immer mehr übel. Persönlich und theoretisch war eine große Kluft zwischen den beiden entstanden. Adorno forderte deshalb immer mehr, sich um unlimitierte Gespräche zu bemühen. Während er zuerst noch in Siegfried Unselds Haus mit diesen Gesprächen beginnen wollte, kam mit der Zeit immer mehr der Gedanke, von Adornos Seite, die Gespräche nach Zermatt in die Schweiz zu verlegen. Marcuse war von Zermatt nicht sehr angetan, er wollte lieber in einen Ort, der für ihn leichter erreichbar wäre, um derartige Gespräche zu führen. Zu dieser Zeit war Adorno jedoch schon schwer gebeutelt, weshalb er immer wieder darauf bestand, Zermatt, seinen Stammerholungsort, als Ort der Gespräche festzulegen. Zu dieser Aussprache kam es schließlich leider nicht mehr.

Eine weitere Differenz zwischen Marcuse und Adorno war die Frage, ob das IfS noch in seiner alten Form bestand. Marcuse meinte, das neue Frankfurter Institut sei nicht mehr das Alte. Adorno entgegnete diesem, der Unterschied zwischen dem New Yorker und dem 2. Frankfurter IfS bestehe darin, dass in New York viele ältere Gelehrte zusammenarbeiteten, die sich schon lange kannten, sich gut ergänzten, während im 2. IfS erst eine Gelehrtenschicht erzogen werden musste. Eine Veränderung muss man aber auch in Hinsicht auf die Arbeit konstatieren. Während Empirie und Wirtschaftswissenschaften in den frühen interdisziplinären Arbeiten mehr Einfluss hatten ging vor allem der wirtschaftswissenschaftliche Teil im 2. Frankfurter IfS stark zurück. Dies ist eine wesentliche Achillessehne der gesamten Theorie, denn ein gesamtgesellschaftliches Bild zu produzieren, ohne auch eine alternative Wirtschaftstheorie voranzutreiben, verschließt der Theorie den Weg in die Praxis. Dieses war Adorno sicher bewusst, wenn er gegen die Umsetzung der Theorie in die Praxis plädierte. Die marxistische Theorie so sehr sie Adorno beeinflusste, wurde von ihm in den Bereichen der wirtschaftlichen Theorie nicht vorangetrieben. Man kann ihm das nicht zum Vorwurf machen, denn er alleine konnte auch nur einen begrenzten Bereich bearbeiten. Er war genuin nicht der praktisch- politische Mensch. Sein Weg hin zur Gesellschaft begann in der Kunst, in der Musik und er fragte sich ja zu beginn vor allem, warum der Mensch, anstatt in einen menschlichen Zustand überzugehen in den barbarischen zurückfällt. Über die Kunst kam er zu den Fragen, die er in seiner Theorie versuchte zu beantworten. Als Adorno von Berg aufgefordert wurde, sich zwischen Kant und Beethoven zu entscheiden, da entschied er sich nur temporär für Kant. Er wollte immer nach seiner Professur seine Kompositionen erweitern. Musik, wie Kunst als ganzes war ihm das Bedeutendste. Dieses lässt sich auch auf seine Kindheit zurückführen, in der er in behüteten Verhältnissen schon früh und intensiv mit der Kunst in Berührung kam.

Seine Prioritäten hatte er gesetzt und die Wirtschaftswissenschaft war nicht im Mittelpunkt. Friedrich Pollock, früher der wesentliche Forscher in Sachen Wirtschaftswissenschaften, war im 2. Frankfurter IfS nicht mehr so verstrickt wie noch zuvor, er hatte auch keinen Nachwuchs, der an der kritischen Theorie wesentlich interessiert war, wie ihn Adorno und Horkheimer mit Habermas, Negt und anderen. Nach diesem kurzen Exkurs soll nun wieder zum direkten Thema zurückgekehrt werden.

Durch das immer weiter gehende Eingreifen der Studenten auf den Betrieb der Uni und das immer härtere Vorgehen gegen alle Instanzen, ob gegen Professoren oder die Polizei, wurde das Verhältnis zwischen Adorno und den Studenten immer mehr getrübt. In den Vorgangsmethoden sah er nun schon starke Tendenzen zur Repression und Vereinfachung. Diese Tendenzen verglich er sogar schon mit faschistischen Tendenzen. Er sah immer mehr die Gefahr, dass die Bewegung in ihr Gegenteil verfallen könnte. Natürlich war der gesellschaftliche Einfluss der Studenten nicht so stark, als dass die Demokratie der Bundesrepublik in Gefahr geraten hätte können. Doch die reformistische Kraft wurde durch die aktionistische Praxis sofort zerstört. Die Studenten waren im ideologischen Sinne weit davon entfernt, sich dem Faschismus zuzuwenden, ihre technokratischen Tendenzen und ihr Vorgehen hatte sehr wohl totalitäre Tendenzen. Diese gingen mit der Studentenbewegung einher. Viele der Studenten dieser Bewegung, die massiv sich für radikale Aktionen einsetzten, versuchen zu argumentieren, es ginge um den Gedanken, deren Beigeschmack eben manchmal auch bitter ist, welcher jedoch an sich gut sei. Der Gedanke wurde von Adorno, und da sieht man eigentlich eine große Übereinstimmung, absolut mitgetragen. Der Wille die Gesellschaft zu reformieren und die faschistische Grundstimmung der Gesellschaft auszutreiben wurde von Adorno wie von keinem anderen formuliert. Nur in der Praxis sind die Divergenzen zu erkennen und wenn man retrospektiv das Thema Studentenrevolution bearbeitet, so kommt man oft zu einem Fazit: Guter Gedanke, in vielen Punkten schlechte Umsetzung. Aus dieser Perspektive muss man dann auch anerkennen, dass Adornos Einschätzung der Verhältnisse die wesentlich bessere war, im Vergleich zu den Einschätzungen der Studenten und Marcuses.

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